In Berlin deutet sich eine historische Wende für den traditionellen 1. Mai an. Polizeichefin Barbara Slowik erklärte gestern im Innenausschuss, dass die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration erstmals seit drei Jahrzehnten «nahezu störungsfrei» verlaufen sei. Eine Einschätzung, die aufhorchen lässt: Seit 1987 galt der Tag in der Hauptstadt als Synonym für brennende Barrikaden und Straßenschlachten.
«Was wir dieses Jahr erlebt haben, ist ein Meilenstein«, so Slowik. Die Zahlen sprechen für sich: Nur 29 verletzte Einsatzkräfte – ein Rückgang um fast 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Strategie der «ausgestreckten Hand» scheint Früchte zu tragen. Statt Konfrontation setzte die Polizei auf Dialog und deeskalierende Maßnahmen.
Ich beobachte die Mai-Krawalle seit meinen Anfängen als Journalistin. Was früher als unvermeidliches Ritual galt, wandelt sich spürbar. «Die Zeiten ändern sich», bestätigt mir ein langjähriger Kreuzberger Aktivist, der anonym bleiben möchte. «Viele der alten Wutbürger haben heute Kinder oder Enkelkinder.»
Doch nicht alle teilen den Optimismus. Der Soziologe Dr. Martin Endress warnt: «Gesellschaftliche Spannungen suchen sich neue Ventile. Die sozialen Probleme hinter den Protesten bleiben ungelöst.» Die Mieten in Berlin steigen weiter, die Schere zwischen Arm und Reich wächst.
Ist der Friede am 1. Mai gekommen, um zu bleiben? Möglich. Aber wie ein alter Polizist mir kürzlich sagte: «In Berlin ist Ruhe immer nur die Pause zwischen zwei Stürmen.» Die nächsten Jahre werden zeigen, ob wir tatsächlich am Ende einer Ära stehen.