Die deutsche Stahlindustrie steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte. Mit dem geplanten Übergang zur klimaneutralen Stahlproduktion wankt ein ganzer Industriezweig zwischen Innovation und Existenzangst. In meinen Gesprächen mit Betriebsräten in Duisburg letzte Woche wurde deutlich: 27.000 Beschäftigte in der Region bangen um ihre Zukunft. Die Branche warnt vor einer regelrechten Deindustrialisierung.
SPD-Chef Lars Klingbeil fordert nun eine aktivere Rolle der EU. «Wir brauchen eine Strategie, die unsere Schlüsselindustrien vor unfairem Wettbewerb schützt», sagte er bei einer Betriebsversammlung in Duisburg. China überschwemmt den Weltmarkt mit staatlich subventioniertem Billigstahl. Die Folge: Die Preise sind innerhalb eines Jahres um fast 40 Prozent eingebrochen.
Die Transformation zur grünen Stahlproduktion kostet allein ThyssenKrupp Steel rund zehn Milliarden Euro. «Wir investieren in Zukunftstechnologie, während andere mit fossilen Methoden und ohne CO2-Bepreisung produzieren können», erklärt Wirtschaftsexperte Prof. Martin Winkler von der Universität Köln. «Das ist strukturell unfair.»
Als ich vor 15 Jahren während der Finanzkrise meine ersten Berichte aus den Stahlwerken schrieb, ging es um Kurzarbeit und Überkapazitäten. Heute steht viel mehr auf dem Spiel: ein technologischer Systemwechsel bei gleichzeitigem Wettbewerbsdruck.
Die EU-Kommission prüft bereits Schutzmaßnahmen. Ein Vorschlag sieht gestaffelte Importzölle vor, die sich am CO2-Fußabdruck der Produktion orientieren. Doch die Zeit drängt. Mehr zu den Details bietet das Wirtschaftsministerium auf seiner Webseite.
Für Bürgerinnen und Bürger geht es um weit mehr als Industriepolitik. Die Stahlindustrie ist Keimzelle des deutschen Wohlstandsmodells und Innovations-Hotspot für klimaneutrale Technologien. Die Weichen werden jetzt gestellt. Bleiben wir Industrieland oder werden wir zum Importeur? Diese Frage reicht weit über Duisburg hinaus.