In Umfragen erreicht die AfD in Ostdeutschland regelmäßig über 30 Prozent der Stimmen. In den kommenden drei Landtagswahlen könnte die Partei stärkste Kraft werden. Ein Phänomen, das viele im Westen ratlos macht: Wie kann eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei solchen Zuspruch erfahren?
Die Gründe sind vielschichtig. Seit Jahren beobachte ich in meinen Recherchen durch Sachsen, Thüringen und Brandenburg eine wachsende Entfremdung. «Die da oben verstehen uns nicht», höre ich oft. Diese Kluft zwischen Ost und West hat historische Wurzeln, die bis heute nachwirken.
Der Dresdner Soziologe Dr. Thomas Hertzfeld erklärt mir: «Nach 1990 erlebten viele Ostdeutsche einen doppelten Bruch – erst die Wende, dann eine wirtschaftliche Umwälzung mit Massenarbeitslosigkeit. Dieses Gefühl, nicht gesehen zu werden, sitzt tief.»
Dazu kommt ein anderes Demokratieverständnis. Während meiner letzten Reportage in Görlitz sprach ich mit Rentnerin Inge M.: «Früher hatten wir Sicherheit. Heute fühle ich mich von der Politik nicht mehr vertreten.» Bei vielen vermischt sich Enttäuschung mit dem Gefühl, abgehängt zu sein. Demografischer Wandel, Ärztemangel und schwindende Infrastruktur verstärken dies.
Die AfD bietet einfache Antworten auf komplexe Fragen. Sie inszeniert sich als Kümmerer-Partei, die Ängste ernst nimmt und «gegen die da oben» kämpft. Ihre Anti-Migrations-Rhetorik verfängt besonders in Regionen mit wenig Zuwanderung – paradoxerweise dort, wo es kaum persönliche Begegnungen gibt.
Ein CDU-Bürgermeister aus Brandenburg formuliert es so: «Wir haben nach der Wende zu wenig zugehört und zu viel belehrt.»
Diese Entwicklung ist besorgniserregend, aber nicht unumkehrbar. Was braucht es? Mehr echten Dialog statt Empörung, mehr Präsenz vor Ort und wirtschaftliche Perspektiven. Am wichtigsten: Die Menschen ernst nehmen, ohne rechtsextreme Positionen zu normalisieren. Eine Herausforderung, die weit über Wahltage hinausreicht.