Die frostige Nacht auf Dienstag hat bei vielen Rheinhessen Fensterscheiben vereist – doch für etliche Winzer brachte sie die letzte Chance auf einen Eiswein. Bei klirrenden minus 7 Grad rückten sie in ihre Weinberge aus, Stirnlampen durchschnitten die Dunkelheit, während die Erntehelfer mit klammen Fingern die gefrorenen Trauben schnitten.
«Um 3 Uhr morgens waren wir draußen, komplett durchgefroren nach zwei Stunden», berichtet Winzerin Lisa Bunn aus Nierstein. Die 38-Jährige hatte gemeinsam mit ihrer Familie etwa 180 Kilogramm Riesling-Trauben für den begehrten Eiswein reserviert. Ein Risikospiel mit der Natur, denn nur bei Temperaturen unter minus 7 Grad darf geerntet werden.
Die Tradition des Eisweins reicht in Deutschland bis ins Jahr 1830 zurück. Damals brachte ein überraschender Frost Winzer in der Pfalz dazu, aus gefrorenen Trauben Wein zu keltern. Was als Notlösung begann, entwickelte sich zur Spezialität.
Laut dem Deutschen Weininstitut haben in diesem Winter bundesweit nur etwa 40 Betriebe die Chance auf Eiswein genutzt – ein Bruchteil der 15.000 Weingüter. «Der Klimawandel macht die Eisweinproduktion zunehmend zum Glücksspiel«, erklärt Ernst Büscher vom Weininstitut. In den letzten Jahren fiel die Eisweinlese mehrfach komplett aus.
Ich erinnere mich noch, wie in meiner Anfangszeit als Journalistin in Rheinhessen ganze Dörfer zur Eisweinlese ausrückten – heute ein seltenes Ereignis. Die Winzer müssen immer länger warten, oft bis in den Januar oder Februar hinein.
Für die Rheinhessener Winzer ist der Eiswein mehr als ein Prestigeobjekt. «Diese süßen, hochkonzentrierten Weine sind Botschafter unserer Region in der Weinwelt«, betont Bunn, während sie die gefrorenen Trauben vorsichtig in die Kelter bringt. Ob der Jahrgang 2023 einmal in edlen Flaschen landen wird? Die Antwort darauf gibt erst die Zeit – und der Klimawandel könnte diese Tradition bald ganz verschwinden lassen.