Als ich Chris zum ersten Mal auf einem Übungsgelände der International Legion of Ukraine begegnete, fiel mir sofort sein dichter Bart auf. „Daher der Rufname ‹Hobo'», sagte er lächelnd – er sehe aus wie ein Obdachloser. Der ehemalige US-Marine aus Florida hat seit September 2022 amerikanischen Boden nicht mehr betreten. „Ich bin mir ehrlich gesagt nicht mehr sicher, ob ich dort noch wohne», meinte er. Neben ihm stand Jack Lopresti, bis vor kurzem noch konservativer Abgeordneter im britischen Unterhaus für 14 Jahre. Jetzt trägt der britische Ex-Politiker eine Uniform mit einem Abzeichen, das die britische und die ukrainische Flagge vereint.
Ein aktueller Bericht von United24 Media dokumentiert die Geschichten von vier ausländischen Freiwilligen in der Internationalen Legion der Ukraine – von ehemaligen Parlamentsabgeordneten bis zu Zivilisten ohne militärische Vorerfahrung UNITED24 Media. Während in Berlin weiter über Leopard-Panzer, Taurus-Marschflugkörper und Obergrenzen für deutsche Militärhilfe debattiert wird, kämpfen nach Angaben der ukrainischen Streitkräfte mehrere Tausend Freiwillige aus über 50 Nationen an Europas Frontlinie.
Für Deutschland stellt diese Realität unbequeme Fragen zur europäischen Sicherheitspolitik. Während fremde Staatsbürger ihr Leben riskieren für ein Land, das viele nie zuvor besucht hatten, ringt die größte Volkswirtschaft Europas noch immer mit der Frage, wie weit deutsche Verantwortung in der Ukraine-Krise reichen soll.
Hintergrund: Gründung und Entwicklung der Internationalen Legion Ukraine
Die Internationale Legion für die Verteidigung der Ukraine wurde am 27. Februar 2022 auf Anordnung von Präsident Wolodymyr Selenskyj gegründet, nur drei Tage nach Beginn der russischen Großinvasion Wikipedia. Außenminister Dmytro Kuleba warb auf Twitter für Freiwillige mit den Worten: „Gemeinsam haben wir Hitler besiegt, und wir werden auch Putin besiegen.»
Nach Angaben ukrainischer Militärquellen haben sich seitdem über 20.000 Menschen aus Dutzenden Ländern beworben. Im Oktober 2024 verabschiedete das ukrainische Parlament Gesetzesänderungen, die es ausländischen Freiwilligen in der Internationalen Legion erstmals ermöglichen, als Offiziere zu dienen – zuvor konnten sie nur als Soldaten oder Unteroffiziere eintreten UNITED24 Media.
Die Einheit gliedert sich in zwei Hauptbereiche: die Internationale Legion der Bodentruppen und die Internationale Legion des militärischen Nachrichtendienstes (DIU), wobei letztere sich auf Aufklärungsmissionen und schnelle Operationen spezialisiert.
Jack Lopresti: Vom britischen Parlament zur ukrainischen Frontlinie

Jack Lopresti diente 14 Jahre als konservativer Abgeordneter im britischen Unterhaus, bevor er nach seiner Wahlniederlage 2024 zur Internationalen Legion wechselte UNITED24 Media. Sein Rufname „Pendragon» – benannt nach dem legendären Vater von König Artus – verrät etwas über sein Selbstverständnis in dieser historischen Mission.
„Es war mir ziemlich klar, dass ich, sollte das Schlimmste passieren, nach Ukraine kommen und ein, zwei Jahre helfen würde», erzählte Lopresti laut dem United24-Bericht. Trotz seiner politischen Karriere verfügt er über militärische Erfahrung, insbesondere aus seinem Einsatz in Afghanistan.
Historische Parallelen zum Zweiten Weltkrieg
Lopresti betont die Parallele zwischen der Ukraine-Situation und Großbritanniens Kampf 1940: „Wir haben das, was im Zweiten Weltkrieg 1940 passierte, in unserer DNA. Es liegt in lebendiger Erinnerung – als wir allein waren, für unser Überleben, für unsere Existenz als Nation kämpften».
Diese historische Analogie sollte gerade in Deutschland Widerhall finden. Die Lehren von 1938 und 1939 – als Appeasement-Politik das Dritte Reich ermutigte, weiter zu expandieren – sind nirgendwo relevanter als in der Bundesrepublik. Und doch scheint diese historische Einsicht in der deutschen Sicherheitspolitik oft durch andere Überlegungen überlagert: Angst vor Eskalation, Sorge um Energieversorgung, Rücksicht auf wirtschaftliche Verflechtungen.
Deutsche Perspektive: Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft liegt Deutschland bei der militärischen Unterstützung gemessen am Bruttoinlandsprodukt deutlich hinter kleineren EU-Staaten wie Estland, Lettland oder Litauen. Diese baltischen Staaten verstehen aus ihrer eigenen Geschichte die existenzielle Bedrohung durch russische Aggression.
„Solo» aus Australien: Von der Edelsteinjagd zum Drohnenkrieg

J. Robert Ralph – Rufname „Solo» – reiste von Australien nach Ukraine, obwohl er keine militärische Vorerfahrung hatte. „Ich konnte es nicht ertragen, was passierte», sagte der Freiwillige, dessen Großeltern im Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten der Familie gekämpft hatten UNITED24 Media.
Als Jugendlicher wollte Solo zur australischen Armee, wurde aber wegen eines Oberschenkelbruchs abgelehnt. Jetzt, mit Mitte Dreißig, dient er in der Infanterie der Internationalen Legion. Seine Mutter berichtet, er wirke in der Ukraine glücklicher als zu Hause.
Technologische Herausforderungen: Faseroptische Drohnen verändern Kriegsführung
Die größte Bedrohung auf dem Schlachtfeld sind laut Solo heute nicht mehr Artilleriegeschosse wie 2022, sondern Drohnen: „Die Russen passen sich an. Wir müssen uns weiter anpassen. Die Technologie spielt eine immer größere Rolle».
Besonders faseroptische Drohnen, die durch Kabel gesteuert werden und damit gegen elektronische Störsender immun sind, haben die Kriegsführung revolutioniert. Was in der Ukraine geschieht, ist kein regionaler Konflikt mit veralteten Waffen – es ist ein Testfeld für die Kriegsführung des 21. Jahrhunderts.
Relevanz für Deutschland: Die Bundeswehr studiert diese Entwicklungen aufmerksam. Deutsche Rüstungsunternehmen arbeiten an eigenen Drohnensystemen und elektronischen Gegenmaßnahmen. Doch zwischen technologischer Entwicklung und politischer Entscheidungsfindung im Bundessicherheitsrat liegen oft Monate – Zeit, die im Krieg über Leben und Tod entscheiden kann.
Chris „Hobo»: US-Marine berichtet von drei Jahren Fronteinsatz
Chris, ein ehemaliger US-Marine und Army-Scout aus Florida, kam im September 2022 zur Internationalen Legion und hat seitdem die USA nicht mehr besucht. Er kämpfte in der Charkiw-Offensive 2022, in der Region Luhansk, bei Bachmut und zuletzt in der Region Sumy UNITED24 Media.
„Man hat mehr Angst davor, eine Drohne zu hören als vor allem anderen», beschreibt Hobo die psychische Belastung des modernen Krieges laut United24. „Jemand sieht dich. Sie können leicht deinen Standort angreifen. Man weiß nie, welche Art von Sprengstoff man abbekommt.»
Evolution der Kriegstaktiken seit 2022
Hobo erklärt die Veränderungen: „Man bekommt Taktiken aus dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg mit der Technologie von heute. Es ist sehr, sehr beängstigend. Was es noch schlimmer macht, ist, dass es sich für beide Seiten ständig weiterentwickelt».
Ursprünglich glaubte Hobo, nur ein Jahr zu bleiben. „Fast drei Jahre später bin ich immer noch hier. Also vielleicht werde ich eines Tages sagen: ‹Ich bin müde und will nach Hause.› Oder – ich kämpfe einfach weiter.»
„Bard» aus Colorado: Vom Flugzeugtechniker zum Kampfmediziner

„Bard», ein Freiwilliger aus Colorado der anonym bleiben möchte, kam im März 2022 zunächst als humanitärer Helfer nach Ukraine. „Während dieser Zeit gab es vielleicht die größte humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg», erinnert er sich UNITED24 Media. Wenige Monate später trat er der Internationalen Legion bei.
„Als menschliches Wesen ist es meine Pflicht», sagt Bard über seine Motivation. „Aus diesem Grund allein würde ich natürlich die Ukraine unterstützen, aber ich habe die Ukraine auch lieben gelernt.»
Botschaft an westliche Demokratien
Bards Botschaft an die USA gilt ebenso für Deutschland: „Schlagt ein Geschichtsbuch auf. Sie müssen sich ansehen, was in den 1930er Jahren passierte, das letztlich dazu führte, dass Amerika seine Söhne und Töchter opfern musste».
Auf die Frage, wie lange er in der Ukraine bleiben wolle, antwortete Bard ohne Zögern: „Wahrscheinlich für immer. Ich denke, ich werde hier so oder so sterben.» Auf United24 Media betont er, dass potenzielle Freiwillige vollständig engagiert sein müssen: „Man muss ganz dabei sein, oder gar nicht.»
Deutsche Verantwortung und europäische Sicherheitsarchitektur
Die United24-Reportage wirft fundamentale Fragen für die deutsche Sicherheitspolitik auf. Lopresti argumentiert: „Die Ukraine kämpft hier unsere Kämpfe. Dies ist die Frontlinie der europäischen und westlichen Freiheit».
Deutschlands militärische Unterstützung im Vergleich
Deutschland hat bisher über 28 Milliarden Euro Hilfe für die Ukraine zugesagt und ist nach den USA der zweitgrößte bilaterale Unterstützer. Das Bundesverteidigungsministerium hat Leopard-2-Panzer, Gepard-Flugabwehrsysteme und Patriot-Batterien geliefert. Die Aufnahme von über einer Million ukrainischer Flüchtlinge ist eine beachtliche humanitäre Leistung.
Doch zwischen institutioneller Kapazität und politischem Willen klafft eine Lücke. Während einzelne Bürger aus Großbritannien, Australien oder den USA ihre Leben riskieren, debattiert Berlin noch immer über Taurus-Marschflugkörper – aus Sorge, Deutschland könnte zur „Kriegspartei» werden.