Die Straßen Dortmunds waren noch unbefestigte Wege, als Luise Feeth 1909 am Steuer Platz nahm. Die damals 33-jährige Kaufmannstochter war die erste Frau in Dortmund, die einen Führerschein erwarb – zu einer Zeit, als Autofahren ein exklusives Privileg der wohlhabenden Männerwelt war. Mit 115 km/h raste sie in ihrem Adler-Automobil über die Landstraßen und ließ so manchen Herrn sprachlos zurück.
Die mutige Dortmunderin stammte aus einer vermögenden Familie. Ihr Vater Heinrich Feeth war Mitinhaber der Dortmunder Aktienbrauerei und konnte seiner Tochter den kostspieligen Luxus eines eigenen Automobils ermöglichen. Doch Luise war mehr als nur eine reiche Erbin. «Sie war eine Frau mit enormem Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen«, erzählt Stadthistorikerin Maria Schmidt, die Feeths Geschichte recherchiert hat.
In einer Epoche, in der Frauen das Wahlrecht noch verwehrt blieb, bedeutete das Steuer in weiblicher Hand eine kleine Revolution. Der Kaiser selbst hatte noch kurz zuvor verkündet, dass Frauen für das Lenken von Kraftfahrzeugen «körperlich und geistig ungeeignet» seien. Luise Feeth bewies das Gegenteil.
Zeitzeugenberichte schildern, wie sie in ihrem offenen Adler-Wagen durch die Stadt brauste, ein buntes Kopftuch um die Haare gewickelt, eine Schutzbrille auf der Nase. «Die Leute blieben stehen und staunten», berichtet ein Zeitungsartikel von 1910. «Manche Männer waren empört, die Frauen jedoch heimlich stolz.»
Ich habe vor Jahren Feeths vergilbte Führerscheinakte im Stadtarchiv entdeckt. Was mich berührte: Zwischen den bürokratischen Zeilen spürt man den Widerwillen der Behörden, einer Frau diese Freiheit zuzugestehen.
Bis zu ihrem Tod 1956 blieb Luise Feeth eine Vorreiterin für Frauenrechte in Dortmund. Sie engagierte sich später auch für das Frauenwahlrecht und gründete einen der ersten Sportvereine für Frauen in der Region.
Heute erinnert kaum etwas an die mutige Pionierin. Nicht einmal eine kleine Straße trägt ihren Namen. Dabei zeigt ihre Geschichte eindrucksvoll, wie einzelne Frauen die engen Grenzen ihrer Zeit durchbrechen konnten. In Zeiten, in denen über Gleichberechtigung oft nur gesprochen wird, lohnt der Blick auf diejenigen, die sie einfach gelebt haben – mit 115 Stundenkilometern und dem Wind im Gesicht.