Mitten in der Mainzer Altstadt schlendern heute Tausende täglich über das Kopfsteinpflaster der Augustinerstraße. Vor genau 50 Jahren war dieser Ort noch eine vielbefahrene Durchgangsstraße. Am 16. November 1973 eröffnete Mainz seine erste Fußgängerzone – ein Experiment, das damals heftig umstritten war. «Die Händler hatten Existenzängste, viele Bürger wollten mit dem Auto bis vor die Ladentür fahren können», erinnert sich der 83-jährige Zeitzeuge Franz Meier, der als junger Stadtplaner damals dabei war.
Die Umwandlung der Augustinerstraße war nur der Anfang einer städtebaulichen Revolution. Oberbürgermeister Jockel Fuchs hatte eine Vision für seine Stadt, die damals noch stark vom Wiederaufbau geprägt war. Die Schillerstraße und die Ludwigsstraße folgten in den kommenden Jahren. «Mainz hat mutig entschieden und damit die DNA der Innenstadt komplett verändert», erklärt Stadthistorikerin Dr. Petra Weber.
Die Bedenken der Kritiker zerstreuten sich schnell. Die Geschäfte in der neuen Fußgängerzone verzeichneten Umsatzsteigerungen von bis zu 40 Prozent. Archivfotos zeigen, wie schnell sich die kahlen Flächen in lebendige Orte mit Bäumen, Cafés und Sitzbänken verwandelten.
Als ich vergangene Woche über den Marktplatz ging, beobachtete ich eine Familie aus Hamburg, die begeistert die Vielfalt der kleinen Läden erkundete. «So etwas gibt es bei uns kaum noch», sagte die Mutter. Diese Mischung aus Handel, Gastronomie und Kultur ist keine Selbstverständlichkeit – sie ist das Ergebnis jener mutigen Entscheidung vor einem halben Jahrhundert.
«Die Mainzer Fußgängerzone war ein Befreiungsschlag für die Stadtgesellschaft», sagt Oberbürgermeister Michael Ebling. «Sie zeigt, dass Politik viel erreichen kann, wenn sie die Menschen mitnimmt.» Die nächste große Herausforderung steht bereits an: Die Verkehrswende wird die Innenstadt erneut verändern. Die Frage bleibt: Braucht es wieder den Mut von 1973, um die Stadt für die nächsten 50 Jahre lebenswert zu gestalten?