In einem denkwürdigen Moment auf der Berliner Sicherheitskonferenz trafen sich gestern Präsident Selenskyj und CDU-Chef Friedrich Merz zu einem Gespräch, das möglicherweise einen Wendepunkt in der deutschen Unterstützung für die Ukraine markiert. Während draußen der Herbstregen auf die Straßen prasselte, wurden drinnen weitreichende Weichen gestellt. Die Atmosphäre war angespannt, aber konstruktiv – ein Spiegelbild der komplexen Beziehungen zwischen beiden Ländern in Kriegszeiten.
«Die Lieferung von Taurus-Raketen liegt durchaus im Bereich des Möglichen», erklärte Merz nach dem Treffen. Diese Aussage gewinnt besondere Bedeutung vor dem Hintergrund, dass Bundeskanzler Scholz bisher eine rote Linie bei der Lieferung dieser weitreichenden Präzisionswaffen gezogen hatte. Die medizinische Versorgung in ukrainischen Frontgebieten verschlechtert sich dramatisch, wie Dr. Elena Kowalenko vom Kiewer Militärhospital bestätigt: «Ohne moderne Defensivsysteme steigt die Zahl der Schwerverletzten täglich.» Diese humanitäre Dimension bleibt oft unbeachtet, wenn über Waffenlieferungen diskutiert wird.
Historisch betrachtet erinnert die Situation an die zögerliche westliche Hilfe für Finnland während des Winterkrieges 1939/40 – damals wie heute stehen berechtigte Sorgen vor Eskalation gegen die existenzielle Bedrohung eines Landes. Laut dem aktuellen WHO-Bericht wurden bereits 1.443 medizinische Einrichtungen in der Ukraine beschädigt oder zerstört, mit katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung.
Die deutsch-ukrainische Rüstungskooperation könnte nun in eine neue Phase treten. Verteidigungsexperte Peter Neumann vom King’s College London sieht darin «nicht nur militärische Unterstützung, sondern auch ein Signal an Moskau, dass der Westen in seiner Entschlossenheit nicht nachlässt.» Gleichzeitig wächst in Berlin die Erkenntnis, dass die Kriegsmüdigkeit in Teilen Europas zu einer gefährlichen Erosion der Unterstützung führen könnte.
Was bleibt, sind die unbeantworteten Fragen: Wird Deutschland tatsächlich die rote Linie bei Waffenlieferungen verschieben? Und welchen Preis zahlen die Menschen in der Ukraine für jedes Zögern? In den Krankenhäusern von Charkiw und Saporischschja jedenfalls zählt jeder Tag – während in Berlin politische Entscheidungen reifen, die über Leben und Sicherheit eines ganzen Volkes mitentscheiden.