In Berlin kann jetzt jeder architektonische Sünden digital anprangern. Seit Dezember ist die «Berliner Bausünden»-Karte online, auf der bereits über 500 missglückte Bauprojekte verzeichnet sind. Die interaktive Karte zeigt Gebäude, die nach Meinung der Nutzer die Stadtästhetik verschandeln. Besonders betroffen: das historische Zentrum rund um den Alexanderplatz und der Potsdamer Platz.
Es ist erstaunlich, wie emotional die Berliner auf Architektur reagieren. Der Initiator des Projekts, ein Stadtplaner aus Kreuzberg, erklärt: «Wir wollen keine Hasswelle auslösen, sondern eine Diskussion über gute Stadtgestaltung.» Meistgenannte Kritikpunkte sind lieblose Fassaden, fehlende Bezüge zur Umgebung und monotone Glasfronten.
Ein Paradebeispiel: Der umstrittene Alexa-Komplex am Alexanderplatz. «Wie eine rosafarbene Waschmaschine mitten im Stadtbild», kommentiert eine Nutzerin. Auch historische Entscheidungen wie der Abriss des Palasts der Republik tauchen in der Kartierung auf.
Interessant finde ich bei meinen Recherchen, dass viele Gebäude, die heute als «Bausünden» gelten, früher als modern und zukunftsweisend gefeiert wurden. Die Humboldt-Box etwa, einst als temporäres Ausstellungsgebäude geplant, wurde lange vor ihrem Abbau zum Ärgernis für viele Berliner.
Was heute als hässlich gilt, könnte morgen Denkmalschutz genießen. Die Karte ist mehr als Kritik – sie ist ein digitales Gedächtnis der sich wandelnden Stadtidentität. Und vielleicht ein Weckruf an Bauherren und Architekten: Baut für die Menschen, nicht nur für den Profit.