In Münchens ausverkauftem Volkstheater schwingen vierzig Jahre Tanzgeschichte durch den Raum. Anne Teresa de Keersmaeker zeigt ihr wegweisendes Frühwerk «Fase» zum Auftakt des Dance Festivals – und beweist, warum dieses Stück auch 2024 noch Publikum und Kritiker in seinen Bann zieht.
Die belgische Choreografin, inzwischen 64 Jahre alt, tanzt selbst – präzise, kraftvoll und mit einer Hingabe, die den Saal verstummen lässt. Zu minimalistischer Musik von Steve Reich entstehen hypnotische Bewegungsmuster, die sich unmerklich verändern und doch grundlegend wandeln. «Tanz ist Mathematik in Bewegung», sagte de Keersmaeker einmal in einem Interview, das ich mit ihr in Brüssel führte.
Besonders eindrucksvoll: Im ersten Teil «Piano Phase» kreisen zwei Tänzerinnen im schlichten weißen Kleid um die eigene Achse, werfen Schatten an die Rückwand. Minimale Verschiebungen erzeugen maximale Spannung. Die Konzentration im Publikum ist greifbar.
«Diese Art zu arbeiten hat mich immer fasziniert», erklärt Festivalleiter Jörg Bochow nach der Vorstellung. «Wie aus einfachen Bewegungen komplexe Muster entstehen, das ist pure Tanzmagie.»
Während die Hitze im Saal steigt, steigert sich auch die Intensität. Im letzten Teil «Clapping Music» klatschen die Tänzerinnen selbst den Rhythmus. Einige Zuschauer beginnen unwillkürlich, mit den Fingern zu tippen. Ich beobachte, wie sich Bewegung durch die Reihen fortpflanzt – typisch für Werke, die unter die Haut gehen.
Das Dance Festival München, das noch bis zum 15. Mai läuft, zeigt mit dieser Eröffnung Mut zum Wesentlichen. In Zeiten von Technik-Spektakeln und Multimedia-Shows beweist «Fase»: Manchmal braucht es nicht mehr als einen Körper im Raum, um Großes zu erschaffen.
Die Frage bleibt: Wie können neue Choreografien heute an solche Zeitlosigkeit anknüpfen? Die Antworten liefern vielleicht die nächsten Festivalabende.