Die sonnigen Straßen Berlins verwandelten sich gestern in ein Meer aus bunten Trikots und blinkenden Speichen. Mehr als 20.000 Radfahrende aus allen Ecken der Hauptstadt und dem Umland trafen sich zur traditionellen Fahrrad-Sternfahrt. Der friedliche Protest rollte auf 18 verschiedenen Routen durch die Stadt – und für kurze Zeit sogar über die sonst für Fahrräder gesperrte Stadtautobahn A100.
«Wir brauchen endlich mehr Platz und Sicherheit für alle, die mit dem Rad unterwegs sind», sagt Ragnhild Sørensen vom Veranstalter Changing Cities. Die Demonstration steht in einer langen Tradition – seit 1977 rollen jedes Jahr im Frühsommer tausende Radfahrende durch Berlin. Ihre Forderung: bessere und vor allem sichere Infrastruktur für den umweltfreundlichen Verkehr.
Als die Fahrradkolonnen über die Stadtautobahn rollten, konnte ich die Begeisterung der Teilnehmenden spüren. Eine ältere Dame neben mir strahlte: «Einmal im Jahr gehört die Stadt uns!» Ein kleiner Junge mit Trillerpfeife klingelte begeistert an seinem knallroten Kinderrad.
Dass der Protest berechtigt ist, zeigen die Zahlen. Laut Verkehrsclub Deutschland (VCD) verunglücken in Berlin jährlich über 7.000 Radfahrende im Straßenverkehr. Die Pop-up-Radwege der Corona-Zeit wurden teilweise zurückgebaut, obwohl sie nachweislich die Sicherheit verbesserten.
Am Brandenburger Tor endete die Sternfahrt mit einer Kundgebung. «Dass so viele Menschen bei dieser Hitze mitgemacht haben, zeigt die Dringlichkeit unseres Anliegens», betonte Sprecherin Sørensen. Eine Mutter mit zwei Kindern erzählte mir, sie hätte sich früher nie getraut, mit den Kleinen durch die Stadt zu radeln – heute sei sie dabei, um genau das zu ändern.
Der Konflikt um den knappen Straßenraum bleibt in Berlin bestehen. Während die einen auf mehr Autospuren beharren, fordern die anderen sichere Wege für klimafreundliche Mobilität. In meinen fast zwei Jahrzehnten als Journalistin habe ich viele Verkehrsdebatten erlebt – doch selten war die Stimmung so aufgeladen wie heute. Eines ist klar: Der Kampf um Berlins Straßen ist längst zu einer Frage der Lebensqualität geworden.