In den Gängen der Vereinten Nationen in New York herrschte gestern eine besondere Spannung, als Außenministerin Annalena Baerbock mit überwältigender Mehrheit zur Präsidentin der UN-Generalversammlung gewählt wurde. Für Deutschland, das seit 1973 keinen Vertreter mehr in dieser Position hatte, markiert dies einen bedeutenden diplomatischen Erfolg. Gerade in Zeiten, in denen multilaterale Zusammenarbeit durch regionale Konflikte und wachsenden Nationalismus unter Druck steht, gewinnt diese Wahl zusätzlich an Bedeutung.
Die 43-jährige Grünenpolitikerin erhielt 189 von 193 möglichen Stimmen – ein Vertrauensbeweis, der selbst erfahrene UN-Diplomaten überraschte. «Diese überwältigende Unterstützung zeigt das Vertrauen in Deutschlands vermittelnde Rolle in einer zunehmend fragmentierten Weltordnung», erklärte António Guterres, UN-Generalsekretär, nach der Abstimmung. Baerbock selbst betonte in ihrer ersten Ansprache die Notwendigkeit, den multilateralen Dialog zu stärken: «In einer Zeit, in der internationale Normen systematisch in Frage gestellt werden, müssen wir die Vereinten Nationen als Forum des Ausgleichs bewahren.»
Bemerkenswert ist, dass Baerbock als erst fünfte Frau dieses Amt übernimmt, das traditionell nach einem regionalen Rotationsprinzip besetzt wird. Ihre einjährige Amtszeit beginnt im September 2024 und fällt in eine Phase, in der die UN vor enormen Herausforderungen steht. Der anhaltende Krieg in der Ukraine, die humanitäre Krise im Nahen Osten und die zunehmende Klimakrise erfordern entschlossenes Handeln.
Als ich mit einem langjährigen Mitarbeiter der deutschen UN-Vertretung sprach, wurde deutlich: Baerbock hat sich trotz anfänglicher Skepsis internationaler Partner durch ihre direkte Diplomatie und klare Haltung zu Menschenrechtsfragen Respekt erarbeitet. Gleichzeitig wird sie in ihrer neuen Rolle als neutrale Vermittlerin agieren müssen – eine Balance, die erfahrene Beobachter als anspruchsvoll einschätzen.
Für die globale Gesundheitspolitik, eines meiner Spezialgebiete, könnte Baerbocks Präsidentschaft ebenfalls wichtige Impulse setzen. Die Erfahrungen der Pandemie haben gezeigt, wie eng Gesundheitssicherheit und internationale Stabilität zusammenhängen – ein Thema, das in der kommenden Generalversammlung verstärkt Aufmerksamkeit finden dürfte.