Der lange Arm der europäischen Rechtsprechung reicht jetzt bis in die deutsche Asylpolitik. Das Verwaltungsgericht Berlin hat heute in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass Deutschland auch Asylsuchende aufnehmen muss, die bereits in anderen EU-Staaten registriert wurden. Damit kippt das Gericht eine zentrale Säule der deutschen Asylpraxis. Nach Zahlen des Bundesamts für Migration wurden allein im letzten Jahr über 26.000 Menschen an den EU-Außengrenzen abgewiesen.
Die Entscheidung bezieht sich auf die sogenannte Dublin-Verordnung, nach der Asylverfahren normalerweise in dem EU-Land durchgeführt werden, in dem Geflüchtete zuerst ankommen. Doch das Berliner Gericht stellte fest: Wenn in diesen Ländern unmenschliche Bedingungen herrschen, darf Deutschland die Menschen nicht zurückschicken.
«Diese Entscheidung ist eine klare Absage an die europäische Abschottungspolitik», sagt Rechtsanwältin Berenice Böhlo, die mehrere Kläger vertritt. In Ländern wie Griechenland oder Italien seien Geflüchtete oft obdachlos und ohne Zugang zu medizinischer Versorgung.
Die Bundesregierung zeigt sich überrascht. Innenministerin Nancy Faeser betont: «Wir prüfen derzeit, ob wir Rechtsmittel einlegen werden.» Die Union reagiert scharf. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt spricht von einem «fatalen Signal» und fordert eine Verschärfung des Asylrechts.
Als ich vor drei Jahren die Flüchtlingslager auf Lesbos besuchte, sah ich Menschen, die in provisorischen Zelten hausten, ohne ausreichende Sanitäranlagen. Dass deutsche Gerichte nun die Menschenwürde über Verwaltungsvorschriften stellen, war überfällig.
Für tausende Geflüchtete bedeutet das Urteil Hoffnung. Gleichzeitig stellt es die europäische Asylpolitik vor neue Herausforderungen. Die Kommunen warnen bereits vor Überlastung. Eine Lösung könnte ein faireres europäisches Verteilungssystem sein – aber der Weg dahin ist steinig. Die Frage bleibt: Wie viel Humanität verträgt unsere Asylpolitik?