Die russische Gemeinschaft in Dresden lebt seit Kriegsbeginn in einer Art Schwebezustand. Mehr als 4.600 russische Staatsangehörige leben in der Stadt – viele seit Jahrzehnten. Die Invasion in der Ukraine hat ihr Leben verändert. «Man spürt die Blicke», erzählt Elena M., die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. «Als wäre man plötzlich mitverantwortlich.»
Während meiner Recherchen in der Dresdner Neustadt wurde schnell klar: Viele schweigen lieber. Die Angst vor Konsequenzen für Verwandte in Russland sitzt tief. «Wir telefonieren mit Angehörigen in Moskau nur noch über sichere Apps«, berichtet ein älterer Herr, der seit 1998 in Deutschland lebt. «Und auch da sprechen wir in Andeutungen.»
In russischen Lebensmittelgeschäften, wo früher Politik ein selbstverständliches Gesprächsthema war, herrscht heute auffällige Stille. Die Inhaberin eines Ladens nahe dem Albertplatz winkt ab: «Wir verkaufen nur Lebensmittel, keine Meinungen.»
Professor Jürgen Hartmann von der TU Dresden beobachtet diese Entwicklung mit Sorge: «Die russischstämmige Community spaltet sich zunehmend in diejenigen, die den Krieg offen verurteilen, und jene, die sich komplett zurückziehen.»
Gleichzeitig gibt es Zeichen der Solidarität. Beim interkulturellen Stadtfest im Mai beteiligten sich auch russische Vereine gemeinsam mit ukrainischen Gruppen. «Es ist wichtig zu zeigen, dass nicht alle Russen hinter Putin stehen», sagt Organisatorin Maria Weinhold.
Was mir bei meinen Gesprächen in Dresden besonders auffiel: Die leisen Stimmen gehen oft unter. Menschen wie der Musiker Sergej, der seit drei Jahrzehnten in Dresden lebt und jeden Samstag mit Freunden gegen den Krieg demonstriert. «Es ist meine Pflicht», sagt er, «für jene zu sprechen, die in Russland nicht sprechen können.»
Die kommenden Monate werden für die russische Gemeinschaft in Dresden herausfordernd bleiben. Denn Schweigen schafft Distanz – zu Nachbarn, zur neuen Heimat. Und manchmal auch zu sich selbst.