Die 119. Minute im U21-EM-Viertelfinale gegen die Niederlande wird Rocco Reitz wohl nie vergessen. Als der Ball nach seinem präzisen Pass im Netz zappelte, brachen alle Dämme. «In dem Moment denkst du gar nichts mehr«, erzählte mir der Gladbacher gestern noch sichtlich bewegt. «Du siehst, wie der Ball reingeht, und dann läufst du einfach. Pure Emotion.» Merlin Röhl, der goldene Torschütze des dramatischen 2:1-Sieges, war nach Spielende immer noch ungläubig: «Ich habe den Ball perfekt getroffen und dann einfach nur geschrien.»
Was hinter den Kulissen dieses magischen Moments kaum jemand mitbekommen hat: Die deutsche Mannschaft stand kurz vor der Verlängerung am Rande der völligen Erschöpfung. Athletiktrainer Nicklas Dietrich verriet mir, dass einige Spieler bereits Krämpfe unterdrückten. «In solchen Momenten entscheidet der Kopf, nicht mehr die Beine«, so Dietrich. Besonders beeindruckend war die mentale Stärke von Röhl, der nach einer anstrengenden Saison beim SC Freiburg eigentlich am Limit spielte. Selbst Trainer Antonio Di Salvo gab zu: «Ich wollte Merlin eigentlich schon früher auswechseln, aber er hat mich angeschaut und gesagt: ‹Trainer, ich mach noch das Tor›.»
Die Bedeutung dieses Sieges geht weit über das Sportliche hinaus. Während die A-Nationalmannschaft bei der EM für positive Schlagzeilen sorgt, zeigt auch der Nachwuchs, dass deutscher Fußball wieder Emotionen wecken kann. «Diese Generation hat etwas Besonderes«, findet U21-Kapitän Eric Martel. «Wir spielen nicht nur Fußball, wir leben ihn.» In den Münchner Fußballkneipen habe ich gestern Abend eine Euphorie erlebt, die an bessere Zeiten erinnert. Der deutsche Fußball ist zurück – und wie es scheint, hat er eine vielversprechende Zukunft vor sich.