Die östlichste Stadt Deutschlands erwacht zu neuem Leben. Doch noch vor 33 Jahren stand Görlitz vor einer dramatischen Entscheidung: Abriss oder Erhalt? Die historische Altstadt mit rund 4.000 denkmalgeschützten Gebäuden aus fünf Jahrhunderten war durch jahrzehntelange Vernachlässigung dem Verfall preisgegeben. Heute ist sie ein architektonisches Juwel.
Nach der Wende standen viele Häuser leer. Dächer waren undicht, Fassaden bröckelten. «Die Substanz war so marode, dass wir täglich fürchteten, historische Bauwerke zu verlieren», erinnert sich Stadtkonservator Peter Mitsching. Eine Mammutaufgabe für die Stadt mit damals knapp 70.000 Einwohnern und leeren Kassen.
Die Rettung kam durch ein einzigartiges Finanzierungsmodell: Eine Stiftung, gegründet von einem anonymen Mäzen, stellte seit 1995 jährlich etwa eine Million Euro für Sanierungen bereit. Diese «Altstadtmillion» ermöglichte erste grundlegende Rettungsmaßnahmen.
Gleichzeitig entdeckten Filmproduktionen die intakte historische Kulisse. Mehr als 100 nationale und internationale Filme wurden hier gedreht, darunter «Grand Budapest Hotel» und «The Reader». Was als «Görliwood» bekannt wurde, brachte nicht nur Geld, sondern auch Aufmerksamkeit.
«Die Kombination aus privaten Investitionen, öffentlichen Fördermitteln und dem Engagement der Bürger hat Görlitz gerettet», erklärt Oberbürgermeister Octavian Ursu. Besonders bewegend: Viele ehemalige Görlitzer, die in den Westen gegangen waren, kehrten zurück, um die Häuser ihrer Vorfahren zu retten.
Als ich letzte Woche durch die Nikolaivorstadt schlenderte, begegnete mir ein älterer Herr, der sein Haus mit sichtbarem Stolz renovierte. «Man muss Geschichte auch mal mit den Händen anfassen können», sagte er mir. In diesem Moment wurde mir klar: Hier wurde nicht nur Bausubstanz gerettet, sondern ein Stück deutscher Identität.
Die Herausforderungen bleiben: Leerstand in manchen Stadtteilen, demographischer Wandel, steigende Baukosten. Doch Görlitz hat bewiesen, dass Kulturerbe kein Luxus ist, sondern ein Wirtschaftsfaktor. Eine Lehre, die auch für andere historische Städte in Sachsen und darüber hinaus gilt.