Die Zahl der Berliner, die trotz Arbeit auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, steigt rapide. Seit Einführung des Bürgergelds im Januar 2023 erhöhte sich die Anzahl der sogenannten «Aufstocker» um fast 25 Prozent – von 29.355 auf 36.566 Menschen. Besonders betroffen: Familien mit Kindern und Alleinerziehende, wie aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen.
Während meiner Recherche in Neukölln traf ich Julia M., die trotz 30-Stunden-Woche als Verkäuferin jeden Monat zum Jobcenter muss. «Mit 1.380 Euro kann ich meine zwei Kinder nicht durchbringen – schon gar nicht bei den Berliner Mieten», erzählt sie. Ihr Fall ist längst keine Ausnahme mehr.
Der deutliche Anstieg hat mehrere Ursachen, erklärt Sozialexperte Prof. Markus Grabka vom DIW Berlin: «Die Inflation der letzten Jahre hat besonders Geringverdiener hart getroffen. Gleichzeitig sind die Mieten weiter gestiegen, während viele Löhne nicht Schritt halten konnten.» Bei meinen Gesprächen mit Betroffenen wird deutlich: Viele arbeiten in Teilzeit, weil Vollzeitstellen fehlen oder die Kinderbetreuung nicht anders zu organisieren ist.
Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) fordert Konsequenzen: «Wir brauchen mehr gut bezahlte Vollzeitjobs und bezahlbaren Wohnraum – sonst dreht sich die Spirale immer weiter.» Die Gewerkschaften drängen zudem auf einen höheren Mindestlohn.
Was mir bei meinen Recherchen in Marzahn-Hellersdorf, wo besonders viele Aufstocker leben, auffällt: Die Scham ist groß. «Manchmal traue ich mich kaum zum Jobcenter», gesteht ein Familienvater, der lieber anonym bleiben möchte. «Als würde mir jemand ansehen, dass mein Gehalt nicht reicht.» Die Frage bleibt: Wie kann es sein, dass in einer wohlhabenden Stadt wie Berlin immer mehr Menschen trotz Arbeit arm sind?