Die weißen Koffer von Schwabing, die seit einigen Tagen an Straßenecken und vor Häusern stehen, ziehen neugierige Blicke auf sich. Sie sind Teil eines Erinnerungsprojekts, das an die während des Nationalsozialismus deportierten jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus diesem Münchner Viertel erinnert. Insgesamt 40 solcher Koffer wurden aufgestellt – jeder steht für einen Menschen, der einst hier lebte, bevor er verschleppt wurde.
An einem dieser Koffer vor dem Haus in der Leopoldstraße 77 stehen am Mittwochnachmittag drei Schülerinnen. «Hier hat also Herr Steinberger gewohnt», sagt eine von ihnen leise, während sie die angebrachte Tafel liest. Der Koffer vor ihnen erzählt die Geschichte von Jakob Steinberger, der 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde.
Initiiert wurde das Projekt von der Künstlerin Barbara Salomon-Sorg und dem Historiker Maximilian Strnad. «Es geht uns darum, die Geschichte dieser Menschen in den öffentlichen Raum zu bringen», erklärt Salomon-Sorg bei einem Rundgang. «Die Koffer stehen symbolisch für die letzte Habe, die diese Menschen mitnehmen durften.»
Ich bin mit dem Fahrrad durch Schwabing gefahren und habe beobachtet, wie Menschen vor den Koffern stehenbleiben, lesen und innehalten. Das Projekt schafft, was selten gelingt: Es macht Geschichte im Alltag sichtbar.
Besonders bewegend ist der Koffer für die Familie Epstein in der Römerstraße. Nachbarn haben dort Blumen niedergelegt. «Man läuft täglich an diesen Häusern vorbei, ohne zu wissen, welche Schicksale sich dahinter verbergen», sagt eine Anwohnerin, die seit 30 Jahren hier lebt.
Die weißen Koffer bleiben noch bis Ende Oktober stehen. Sie sind mehr als ein Kunstprojekt – sie machen die Erinnerung greifbar und holen sie in unsere Gegenwart. In einer Zeit, in der antisemitische Vorfälle wieder zunehmen, erinnern sie uns daran, wohin Hass und Ausgrenzung führen können. Und sie fragen uns: Was hätten wir getan?