Der politische Streit um die Nachbesetzung des Bundesverfassungsgerichts erreicht eine neue Dimension. Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte am Mittwoch ungewöhnlich scharf den Widerstand der Union gegen die Wahl von Professorin Anja Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin. «Das ist völlig inakzeptabel», sagte Scholz bei einer Pressekonferenz in Berlin. Die renommierte Juristin war von der SPD für das höchste deutsche Gericht vorgeschlagen worden.
Die Unionsfraktion hatte ihr Veto gegen die Kandidatin eingelegt, nachdem sie deren fachliche Qualifikation angezweifelt hatte. CDU-Chef Friedrich Merz verteidigt die Ablehnung: «Wir haben ernsthafte inhaltliche Bedenken.» Er verweist auf frühere Positionen der Juristin zur Schuldenbremse, die aus seiner Sicht zu liberal seien.
Verfassungsrechtler sehen den Vorgang kritisch. «Das Verfassungsgericht darf nicht zum Spielball parteipolitischer Interessen werden«, warnt der Rechtsprofessor Heinrich Wolff von der Universität Bayreuth. Traditionell werden Verfassungsrichter mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt – ein Verfahren, das eigentlich parteiübergreifenden Konsens sichern soll.
Bei meinen Recherchen in Berlin wird deutlich: Die Atmosphäre zwischen Regierung und Opposition ist vergiftet. Ein SPD-Insider verrät mir: «Es geht längst nicht mehr um die Person, sondern um Machtdemonstrationen im Wahljahr.»
Die Blockade könnte weitreichende Folgen haben. Bleibt die Stelle unbesetzt, droht dem höchsten Gericht Handlungsunfähigkeit in wichtigen Verfahren. Der Fall zeigt: Unser politisches System funktioniert nur, wenn ungeschriebene Regeln des Anstands eingehalten werden. Gut möglich, dass wir künftig mehr formale Absicherungen brauchen.