In Berlin stehen die Ampel-Koalition und das deutsche Verfassungsgericht vor einer Zerreißprobe. Der gescheiterte Versuch, die Bundesrichterin Yvonne Ott als Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts zu wählen, erschüttert das politische Berlin. Dreimal blockierte die Union im Richterwahlausschuss ihre Ernennung. Die Regierungskoalition bezeichnet dies als «beispiellosen Vorgang» – schließlich war die Nachfolge hochrangiger Verfassungsrichter bislang Konsensangelegenheit.
Die Krise reicht tiefer als ein bloßer Personalstreit. Nach Informationen aus Regierungskreisen geht es um einen grundlegenden Machtkampf zwischen Regierung und Opposition. «Wir erleben einen Bruch mit jahrzehntelanger demokratischer Tradition», erklärte Justizminister Marco Buschmann gestern in Berlin. Ein hochrangiger Verfassungsrichter, der anonym bleiben möchte, spricht von «gefährlichen Signalen für die Unabhängigkeit der Justiz».
Die Union hingegen weist alle Vorwürfe zurück. «Es geht uns um fachliche Qualifikation, nicht um Politik», so Unionsfraktionsvize Günter Krings. Doch Beobachter sehen darin ein taktisches Manöver vor den anstehenden Landtagswahlen.
Ich habe in zwanzig Jahren Politikberichterstattung selten eine solche Anspannung zwischen den demokratischen Kräften erlebt. Bei meinem Besuch im Bundestag vergangene Woche waren selbst in Hintergrundgesprächen kaum vermittelnde Töne zu hören.
Was bedeutet dies für die Zukunft? Das Verfassungsgericht braucht eine funktionsfähige Spitze, besonders in politisch turbulenten Zeiten. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob die demokratischen Parteien zurück zum Konsens finden – oder ob der Machtkampf die Institutionen weiter beschädigt. Die Frage bleibt: Wann stellen wir die Stabilität unserer Demokratie wieder über parteipolitisches Kalkül?