Die Grundpfeiler des deutschen Sozialstaates werden bald einer umfassenden Prüfung unterzogen. CDU-Chef Friedrich Merz startete gestern in Berlin ein ambitioniertes Reformprojekt, das die Leistungen für 40 Millionen Bürger digitalisieren und neu ordnen soll. Erste Ergebnisse werden für November erwartet, pünktlich zum CDU-Parteitag. Das Vorhaben gilt als größtes sozialpolitisches Projekt der Partei seit Einführung der Pflegeversicherung 1995.
«Wir haben einen Sozialstaat, der viel Geld ausgibt, aber dennoch zu oft nicht bei denen ankommt, die es wirklich brauchen», erklärte Merz bei der Auftaktveranstaltung. Im Kern geht es darum, die über 150 verschiedenen Sozialleistungen zu bündeln und über eine zentrale digitale Plattform zugänglich zu machen.
Als ich vor einigen Jahren in Baden-Württemberg mit Familien über Bürokratieerfahrungen sprach, hörte ich immer wieder die gleiche Klage: «Man muss Fachmann sein, um überhaupt zu verstehen, was einem zusteht.» Dieses Problem soll nun gelöst werden.
Die Reformidee sieht vor, dass Bürger künftig nur noch einen digitalen Antrag stellen müssen, um alle ihnen zustehenden Leistungen zu erhalten. Experten wie Sozialwissenschaftler Prof. Stefan Sell begrüßen den Ansatz: «Die Digitalisierung könnte endlich die Dunkelziffer derer reduzieren, die aus Unwissenheit oder Scham keine Leistungen beantragen.»
Bemerkenswert ist, dass Merz betont, es gehe nicht primär ums Sparen, sondern um Effizienz. Trotzdem dürfte das Projekt polarisieren. Die Frage bleibt: Kann eine digitale Reform tatsächlich mehr soziale Gerechtigkeit schaffen, oder versteckt sich hinter dem Modernisierungsversprechen doch ein Sparpaket? Die Antwort darauf wird nicht nur über die Zukunft des Sozialstaats entscheiden, sondern auch über die Glaubwürdigkeit der CDU in sozialen Fragen.