In Berlin endete gestern ein spektakulärer Prozess gegen zwei Brüder aus einer bekannten Großfamilie. Das Landgericht verurteilte sie wegen versuchten Mordes zu langen Haftstrafen – doch einer der Männer verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Die Richter verhängten Strafen von acht Jahren und neun Monaten sowie sechs Jahren und neun Monaten gegen die 44 und 37 Jahre alten Angeklagten.
Der ältere Bruder, der die höhere Strafe erhielt, musste nicht zurück in Untersuchungshaft. Er hatte bereits zwei Drittel seiner voraussichtlichen Strafe abgesessen und darf bis zur Rechtskraft des Urteils in Freiheit bleiben. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der bei Angehörigen des Opfers für Kopfschütteln sorgte. «Das sendet ein falsches Signal», flüsterte mir ein Verwandter des Opfers zu.
Die Tat ereignete sich im Februar 2018 vor einem Spätkauf in Wedding. Die Brüder hatten laut Gericht einen 36-jährigen Mann mit einem Messer attackiert und lebensgefährlich verletzt. Das Opfer überlebte nur durch eine Notoperation. Der Angriff geschah aus Rache – der 36-Jährige hatte zuvor einen Verwandten der Täter verletzt.
«Diese Tat war von besonderer Brutalität geprägt», sagte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung. «Die Angeklagten haben bewusst den Tod des Opfers in Kauf genommen.» Die Verteidigung hatte auf Notwehr plädiert, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.
Die Ermittlungen gestalteten sich schwierig. Zeugen wollten sich nicht äußern, einige zogen ihre Aussagen zurück. Ein Phänomen, das ich in meiner langjährigen Berichterstattung über Clan-Kriminalität immer wieder beobachte. Die Staatsanwaltschaft sieht im Urteil dennoch ein wichtiges Signal: «Auch bei schwierigen Ermittlungen können wir Täter zur Verantwortung ziehen.» Mehr Informationen zum Thema Clan-Kriminalität beim Landeskriminalamt Berlin.
Die Verteidiger kündigten Revision an. Der Fall zeigt einmal mehr die Herausforderungen bei der Bekämpfung von Strukturen im Bereich der organisierten Kriminalität. Wann wird aus Familienloyalität ein gesellschaftliches Problem?