Die Stahlindustrie in Deutschland steht vor einer Schicksalswende. Der weltgrößte Stahlkonzern Arcelor Mittal stoppt seine Milliarden-Investition in «grünen Stahl» am Standort Bremen. Dies betrifft den geplanten Bau einer Direktreduktionsanlage, die klimafreundlich mit Wasserstoff betrieben werden sollte. Konzernchef Aditya Mittal begründet den Schritt mit «unzureichenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen» in Deutschland. Allein im letzten Jahr verzeichnete der Konzern hierzulande einen Verlust von rund 230 Millionen Euro.
Als ich vor zwei Jahren die Stahlwerke in Duisburg besuchte, herrschte noch Aufbruchstimmung. Die deutsche Stahlindustrie wollte Vorreiter beim klimafreundlichen Umbau werden. Nun wächst die Ernüchterung. Hohe Energiekosten, schwindende staatliche Unterstützung und die schwächelnde Konjunktur setzen der Branche zu. «Die Entscheidung von Arcelor Mittal ist ein Alarmsignal für den Industriestandort Deutschland«, sagt Kerstin Andreae vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.
Bei Thyssenkrupp, dem größten deutschen Stahlhersteller, steht ebenfalls viel auf dem Spiel. Vorstandschef Miguel López kämpft um Milliardenhilfen für den eigenen Umbau. «Ohne verlässliche Förderung können wir die Transformation nicht stemmen», erklärte er kürzlich. Die Unsicherheit ist mit Händen zu greifen – ich erlebe in Gesprächen mit Stahlarbeitern in Duisburg echte Zukunftsangst.
Die aktuelle Entwicklung wirft grundlegende Fragen auf: Kann Deutschland seine klimapolitischen Ziele erreichen, wenn selbst Schlüsselindustrien bei der Transformation zurückrudern? Und wie viel ist uns als Gesellschaft der Erhalt industrieller Kerne mit Tausenden Arbeitsplätzen wert? Eine Antwort darauf muss die Politik bald finden – oder die Entscheidung treffen am Ende andere.