Während Kinder in der Ukraine nachts vor Bombenalarm in Kellern Schutz suchen, entscheidet sich in New York die Zukunft der internationalen Zusammenarbeit. Annalena Baerbock steht nun an vorderster Front dieses globalen Dialogs. Die deutsche Außenministerin wurde gestern mit überwältigender Mehrheit zur Präsidentin der UN-Generalversammlung gewählt – ein Amt, das seit 1946 erstmals wieder an Deutschland geht und das in Zeiten multipler Krisen besondere Bedeutung trägt.
«Die Vereinten Nationen sind unser wichtigstes Forum für den globalen Dialog, gerade wenn die Welt auseinanderdriftet», erklärte Baerbock nach ihrer Wahl. Mit 117 von 191 möglichen Stimmen setzte sie sich gegen ihre ecuadorianische Gegenkandidatin durch – ein deutliches Vertrauensvotum in turbulenten Zeiten. Als erfahrene Krisenmanagerin kennt Baerbock die Fronten: Vom Feldlazarett in Odessa bis zu den Klimaverhandlungen in Scharm el-Scheich hat sie erlebt, wie eng Gesundheitskrisen, Kriegsfolgen und diplomatische Blockaden zusammenhängen.
Dr. Maria Neumann, Leiterin der Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen» in Osteuropa, sieht in der Wahl eine Chance: «Wir brauchen jemanden, der den humanitären Notstand in den Fokus rückt und gleichzeitig die politischen Mechanismen versteht, die diese Krisen verlängern.» Die Parallelen zur Nachkriegszeit, als die UN gegründet wurde, sind unübersehbar – damals wie heute geht es um den Wiederaufbau einer friedlichen Ordnung.
Baerbocks Agenda ist ambitioniert: Reform des Sicherheitsrats, Stärkung des humanitären Völkerrechts und bessere Koordination bei Gesundheitskrisen. Sie wird das Amt im September antreten, genau wenn die Generalversammlung über eine Resolution zur globalen Gesundheitsversorgung abstimmt. Erinnert man sich an den Kalten Krieg, als die UN-Vollversammlung oft der einzige Gesprächskanal zwischen verfeindeten Blöcken war, wird klar, welche Verantwortung auf ihr lastet.
Die Frage bleibt: Kann Baerbock die tiefen Gräben zwischen den Großmächten überbrücken? Oder werden die Vereinten Nationen weiter an Handlungsfähigkeit verlieren? Wie der Neurologe und Friedensforscher Viktor Frankl einst sagte: «Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.» Diesen Raum für Dialog zu schaffen – das könnte Baerbocks wichtigster Beitrag werden.