In Berlin erleben Richterinnen und Richter zunehmend Anfeindungen wegen ihrer Urteile. Ein Verwaltungsrichter erhielt nach einem Asylverfahren sogar Morddrohungen gegen sich und seine Familie. «Wir werden dich und deine Tochter ermorden», stand in einer anonymen Nachricht an den Juristen. Der Fall zeigt, wie stark Richter mittlerweile unter öffentlichem Druck stehen.
Was früher selten vorkam, wird heute häufiger: Richter werden direkt angegriffen, wenn ihre Entscheidungen bestimmten Gruppen nicht passen. «Es gibt einen Klimawandel in der Gesellschaft», sagt Renate Leistner-Rocca, Präsidentin des Verwaltungsgerichts Berlin. Gerade bei politisch aufgeladenen Themen wie Asyl, Klima oder Corona.
Die Justiz reagiert mit Vorsichtsmaßnahmen. Namen von Richtern werden aus öffentlichen Urteilsabschriften entfernt, persönliche Daten geschützt. In Einzelfällen gibt es Polizeischutz für bedrohte Richter oder ihre Familien. Besonders besorgniserregend: Die Angriffe kommen aus allen Richtungen – von rechts, von links, manchmal auch von religiösen Extremisten.
In meinen zwanzig Jahren als Journalistin habe ich eine deutliche Veränderung beobachtet. Früher galt die Justiz als etwas Unantastbares. Heute wird sie wie ein politischer Akteur behandelt. Ein Richter aus Baden-Württemberg erzählte mir kürzlich: «Manche Leute vergessen, dass wir nicht nach Gefühl, sondern nach Gesetz entscheiden müssen.»
Was bedeutet diese Entwicklung? Der Rechtsstaat lebt vom Vertrauen der Menschen in seine Unabhängigkeit. Wenn Richter aus Angst vor Konsequenzen urteilen, ist dieses Fundament gefährdet. Wir alle sollten uns fragen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben – einer, in der Richter bedroht werden, oder einer, in der sie ohne Angst Recht sprechen können?