Die Bühne spiegelt das Leben – in Berlin mit erschreckender Aktualität. Im berühmten Tipi am Kanzleramt läuft derzeit das Musical «Cabaret», das in der Weimarer Republik kurz vor der Machtübernahme der Nazis spielt. Während drinnen Künstler den aufkommenden Antisemitismus von 1933 darstellen, wurden draußen vor wenigen Tagen tatsächlich jüdische Theatergäste angegriffen und beschimpft.
Am vergangenen Wochenende wurden mehrere jüdische Besucher nach der Vorstellung von vier Männern verfolgt und mit antisemitischen Parolen beleidigt. Ein 28-jähriger Israeli wurde dabei ins Gesicht geschlagen. «Wir sind erschüttert, dass so etwas vor unserem Theater passieren konnte», sagt Holger Klotzbach, Geschäftsführer des Tipi. Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung und gefährlicher Körperverletzung.
Die traurige Ironie: Das Musical thematisiert genau jene gesellschaftliche Entwicklung – das Kippen einer offenen Gesellschaft in Hass und Ausgrenzung. In «Cabaret» erleben wir den amerikanischen Schriftsteller Cliff Bradshaw, der im Berlin der frühen 1930er die Freiheit sucht und stattdessen Zeuge wird, wie der Nationalsozialismus die Stadt übernimmt.
Was mich bei meinem Besuch letzte Woche besonders berührte: Als eine jüdische Familie im Stück diskriminiert wurde, war im Publikum eine bedrückende Stille zu spüren. Keiner ahnte, dass sich wenige Tage später vor dem Theater eine erschreckend ähnliche Szene abspielen würde.
Der Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn bezeichnet den Vorfall als «Teil einer besorgniserregenden Entwicklung». Laut Statistik haben antisemitische Vorfälle in Berlin seit dem 7. Oktober 2023 um mehr als 300 Prozent zugenommen.
Das Tipi reagiert nun mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen. Eine bittere Notwendigkeit, die zeigt: Die Parallelen zwischen der Handlung des Musicals und unserer Gegenwart sind beunruhigend aktuell. Haben wir wirklich so wenig aus der Geschichte gelernt?