Der Arbeitsmarkt in Deutschland steht vor einem paradoxen Problem: Während viele Menschen Angst vor Arbeitslosigkeit haben, entwickelt sich die größte Herausforderung in eine völlig andere Richtung. Aktuelle Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen, dass bis 2035 etwa sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Der demografische Wandel trifft die deutsche Wirtschaft mit voller Wucht.
In meinen fast zwanzig Jahren als Wirtschaftsreporterin habe ich solche Prognosen oft gehört. Doch diesmal ist es anders: Die Lücke zwischen verfügbaren Arbeitskräften und offenen Stellen wird schon jetzt täglich spürbar. «Wir befinden uns in einem fundamentalen Strukturwandel des Arbeitsmarktes», erklärt Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker im Gespräch. «Der Wettbewerb um Talente wird zum entscheidenden Faktor für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft.»
Besonders alarmierend: In Hamburg, wo ich regelmäßig recherchiere, können bereits jetzt 40 Prozent der Handwerksbetriebe offene Stellen nicht besetzen. Die Folgen sind längere Wartezeiten für Kunden und gestrichene Aufträge. Ähnlich sieht es im Gesundheitssektor und der IT-Branche aus.
Die Bundesregierung hat das Problem erkannt und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformiert. Doch Experten sind skeptisch. «Deutschland muss nicht nur seine Einwanderungspolitik modernisieren, sondern auch die Arbeitsbedingungen attraktiver gestalten», betont Migrationsforscherin Victoria Rietig. Mehr dazu beim Bundesarbeitsministerium.
Was bedeutet das für uns alle? Die gute Nachricht: Arbeitnehmer haben bessere Verhandlungspositionen. Die schlechte: Ohne Lösungen drohen Wohlstandsverluste. Die Frage ist nicht mehr, ob wir Arbeit finden – sondern ob unsere Gesellschaft die Arbeit bewältigt, die auf sie wartet.