Ein Jahr nach der Regierungsbildung in Hessen zeigt sich: Ministerpräsident Boris Rhein hat das Land in ruhigeres Fahrwasser geführt. Die schwarz-rote Koalition punktet bei vielen Hessinnen und Hessen mit Berechenbarkeit. Laut jüngster Umfragen sind 51 Prozent mit der Arbeit der Landesregierung zufrieden – ein Wert, von dem viele Landespolitiker nur träumen können.
In meinen fast zwei Jahrzehnten politischer Berichterstattung habe ich selten eine Regierung erlebt, die so geschickt auf Ausgleich bedacht ist. Die CDU konnte ihre konservativen Kernthemen wie innere Sicherheit stärken, während die SPD bei Bildung und sozialer Gerechtigkeit Akzente setzt. «Wir haben die großen Konfliktlinien der Vorgängerregierung überwunden», erklärte Rhein bei seinem Jahresrückblick in Wiesbaden.
Doch hinter der Fassade der Harmonie wachsen die Probleme. Der Wohnungsmangel in Ballungsräumen wie Frankfurt und Darmstadt verschärft sich. Als ich letzte Woche mit Frankfurter Familien sprach, hörte ich immer wieder: «Wir können uns die Stadt nicht mehr leisten.» Der versprochene Ausbau bezahlbaren Wohnraums kommt kaum voran.
Auch beim Lehrermangel fehlen überzeugende Lösungen. «Die Situation an unseren Schulen ist nach wie vor kritisch», bestätigt der Vorsitzende des Hessischen Lehrerverbands. Statt struktureller Reformen dominieren Einzelmaßnahmen.
Bemerkenswert ist Rheins Balanceakt in der Migrationspolitik. Er bedient konservative Positionen, vermeidet aber populistische Töne. Diese Realpolitik hat Grenzen: Sie löst Probleme nicht grundsätzlich, sondern verwaltet sie.
Was bleibt nach einem Jahr? Stabilität ja, mutige Reformen nein. Die Frage, die sich für Hessen stellt: Reicht solide Verwaltung in Zeiten multipler Krisen, oder braucht es mehr Mut zur Veränderung?