Im Schatten der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens zeichnet sich ein besorgniserregendes Muster ab: Millionen von Versicherten schenken ihrer elektronischen Patientenakte (ePA) keinerlei Beachtung. Was als Revolution der Gesundheitsversorgung gedacht war, verkümmert derzeit zu einem digitalen Datenfriedhof. Nach aktuellen Erhebungen haben zwar über 70 Millionen Deutsche Zugang zu dieser digitalen Lösung, doch weniger als 1,5 Millionen nutzen sie tatsächlich. Diese Diskrepanz erinnert stark an frühere gescheiterte Digitalisierungsversuche im öffentlichen Sektor.
Die Gründe für diese Zurückhaltung sind vielschichtig. «Die meisten Patienten verstehen den konkreten Nutzen nicht», erklärt Dr. Martina Weiß vom Verband der Gesundheitsökonomen. «Zudem fehlt es an einer intuitiven Bedienung und umfassender Aufklärung.» Die technischen Hürden schrecken besonders ältere Patienten ab, während jüngere Generationen Bedenken bezüglich des Datenschutzes äußern. Ein weiteres Problem: Viele Hausärzte integrieren die ePA noch nicht vollständig in ihre Praxisabläufe, wodurch wichtige Befunde und Laborwerte nicht systematisch eingepflegt werden. Die Erfahrungen aus Dänemark zeigen jedoch, wie es anders gehen könnte – dort liegt die Nutzungsrate bei über 85 Prozent, was mit einer umfassenden Schulungsoffensive und einer benutzerfreundlicheren Gestaltung erreicht wurde.
Besonders problematisch ist die verpasste Chance für chronisch Kranke. Franziska Meier, Diabetikerin aus München, berichtet: «Ich habe von meiner ePA erst erfahren, als ich bei einem Notfall in einer fremden Stadt wichtige Medikamenteninformationen nicht parat hatte.» Solche Erfahrungen unterstreichen das ungenutzte Potenzial dieser Technologie. Der Zugang zu Notfalldaten, Medikationsplänen und Allergiehinweisen könnte lebensrettend sein.
Was nun? Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant für 2025 eine Opt-out-Lösung – jeder Versicherte erhält automatisch eine ePA, sofern nicht aktiv widersprochen wird. Doch bleibt die Frage: Wird eine erzwungene Verbreitung auch zu echter Nutzung führen? Die Erfahrungen aus der Region und meine eigenen Beobachtungen bei Klinikbesuchen lassen mich zweifeln. Technologie allein genügt nicht – wir brauchen eine Kultur des digitalen Gesundheitsbewusstseins, in der Patienten und Ärzte gemeinsam die Vorteile erkennen und nutzen.