Die verschärften Grenzkontrollen in Deutschland gehen ins zweite Jahr – und die Kritik wächst. Seit Mitte Oktober 2023 kontrolliert die Bundespolizei wieder an allen deutschen Landgrenzen. Ursprünglich als temporäre Maßnahme gegen irreguläre Migration gedacht, führen die Kontrollen zunehmend zu Problemen für Pendler und den grenzüberschreitenden Handel. Laut aktueller Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa empfinden 68 Prozent der Bürger in Grenzregionen die Maßnahmen als erhebliche Belastung.
Im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet hat sich die durchschnittliche Pendelzeit verdoppelt. «Was früher 20 Minuten gedauert hat, kostet heute oft eine Stunde», berichtet Martin Huber, Sprecher einer Bürgerinitiative aus Freilassing. Besonders zu Stoßzeiten bilden sich kilometerlange Staus. In Frankfurt (Oder) berichten Unternehmen von Lieferverzögerungen und zusätzlichen Kosten.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser verteidigt die Kontrollen: «Wir haben über 30.000 unerlaubte Einreisen verhindert und mehr als 1.500 Schleuser festgenommen.» Die Zahlen irregulärer Einreisen seien deutlich zurückgegangen.
Kritik kommt jedoch nicht nur von Anwohnern, sondern auch von EU-Nachbarn. Der polnische Botschafter Dariusz Pawloś forderte kürzlich «pragmatischere Lösungen». Die EU-Kommission mahnt, dass Binnengrenzkontrollen laut Schengen-Regeln eigentlich nur befristet zulässig seien.
Als ich letzte Woche in Görlitz recherchierte, traf ich auf beiden Seiten der deutsch-polnischen Grenze Menschen, die unter den Kontrollen leiden. Eine Krankenschwester aus Polen erzählte mir mit Tränen in den Augen, dass sie ihren Job in Deutschland aufgeben musste, weil sie nicht mehr pünktlich zur Frühschicht erscheinen konnte.
Verkehrsexperten schlagen alternative Konzepte vor. Professor Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen empfiehlt: «Stichprobenkontrollen abseits der Hauptrouten wären effizienter und weniger belastend für den täglichen Grenzverkehr.»
Die Bundesregierung prüft derzeit, ob die Kontrollen über November hinaus verlängert werden. Vieles deutet darauf hin, dass aus der Ausnahme ein Dauerzustand wird. Die Frage bleibt: Wie lange kann Europa an seinen offenen Grenzen festhalten, wenn immer mehr Staaten eigene Wege gehen?