In Hamburg eskaliert die Gewalt im Rotlichtmilieu seit Monaten. Schüsse fallen mitten auf der Reeperbahn, Bomben explodieren vor Bars, und Schlägereien prägen das Nachtleben. Allein in den letzten zwölf Wochen wurden fünf schwere Gewalttaten registriert – zuletzt eine Schießerei vor dem «Herzblut» auf St. Pauli, bei der mehrere Personen verletzt wurden. Die Polizei spricht offiziell von «Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Gruppen».
Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf zwischen etablierten Rotlichtgrößen und aufstrebenden Banden. «Es geht um Territorium, Schutzgelderpressung und die Kontrolle lukrativer Geschäfte», erklärt ein Ermittler, der anonym bleiben möchte. Die Pandemie hat die Machtbalance im Milieu verschoben. Alteingesessene verloren an Einfluss, während neue Gruppierungen in entstandene Lücken stoßen.
Ein Barbetreiber vom Kiez, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bestätigt mir: «Die Stimmung ist so angespannt wie seit den 90ern nicht mehr. Viele Geschäftsleute zahlen inzwischen an mehrere Gruppen Schutzgeld, nur um Ruhe zu haben.»
Die Polizei hat ihre Präsenz deutlich erhöht. Seit Wochen patrouillieren Beamte der Bereitschaftspolizei auf St. Pauli, doch die Gewalt flammt immer wieder auf. Ich erinnere mich an ähnliche Entwicklungen in den frühen 2000ern in Baden-Württemberg, als rivalisierende Gruppen um Einfluss kämpften. Damals wie heute zeigt sich: Das Vakuum im kriminellen Milieu wird schnell gefüllt.
«Wir haben es mit professionellen Strukturen zu tun», sagt Kriminologe Prof. Thomas Müller von der Universität Hamburg. «Diese Konflikte werden nicht von heute auf morgen verschwinden.»
Für die Anwohner und Besucher des Kiezes bedeutet die Eskalation eine zunehmende Verunsicherung. Was vor allem als interner Konflikt im Milieu begann, bedroht inzwischen die Sicherheit aller auf St. Pauli. Die Frage bleibt: Kann die Stadt die Kontrolle zurückgewinnen, oder müssen wir uns auf weitere Gewaltausbrüche einstellen?