Die Ermordung der deutsch-türkischen Frau Hatun Sürücü jährt sich zum zwanzigsten Mal. Sie wurde 2005 in Berlin von ihrem eigenen Bruder erschossen, weil sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. Nun meldet sich erstmals ihr Sohn Can öffentlich zu Wort. Die Tat, die als «Ehrenmord» in die Geschichte einging, erschütterte Deutschland und löste eine bundesweite Debatte über Integration und patriarchale Gewalt aus.
«Ich war gerade mal sechs Jahre alt, als meine Mutter ermordet wurde», sagt der heute 26-jährige Can in einem seltenen Interview. «Meine Kindheit war geprägt von diesem Trauma und der ständigen Frage: Warum?» Er wuchs bei Pflegeeltern auf, geschützt vor der Öffentlichkeit und dem Teil seiner Familie, der die Tat gebilligt hatte.
Hatun Sürücü war nur 23 Jahre alt, als sie starb. Nach einer Zwangsehe in der Türkei war sie nach Deutschland zurückgekehrt, hatte ihren Hauptschulabschluss nachgeholt und eine Ausbildung zur Elektroinstallateurin begonnen. Sie trug kein Kopftuch mehr und lebte allein mit ihrem Sohn – für ihre streng religiöse Familie ein Affront.
In Berlin-Kreuzberg erinnert heute ein kleiner Gedenkort an die mutige Frau. Letzten Montag versammelten sich dort etwa hundert Menschen, um ihrer zu gedenken. Unter ihnen Frauenrechtsaktivistinnen und ehemalige Weggefährtinnen aus ihrer Berufsschule.
Die Zahlen sind ernüchternd: Noch immer werden in Deutschland jährlich etwa 10 bis 15 sogenannte Ehrenmorde verübt, schätzt das BKA. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. «Der Fall meiner Mutter hat vieles ins Rollen gebracht, aber es ist noch so viel zu tun», betont Can. Er engagiert sich heute selbst in der Präventionsarbeit gegen patriarchale Gewalt.
Was bleibt? Ein junger Mann, der seine Mutter kaum kennenlernen durfte. Eine Gesellschaft, die immer noch um den richtigen Umgang mit kulturell begründeter Gewalt ringt. Und die Frage, wie viel Freiheit wir bereit sind, für alle Menschen zu verteidigen – unabhängig von ihrer Herkunft.