In der Abendsonne wirft die Dreifaltigkeitskirche in Hamburg-Rahlstedt lange Schatten auf den Vorplatz. Doch innen erwartet Besucher kein traditioneller Gottesdienst, sondern etwas völlig Neues: bunte Luftballons, Kaffeearoma und Menschen in Alltagskleidung, die sich ungezwungen unterhalten. «Kirchenwohnzimmer» nennt Pastorin Ulrike Weber-Schergens das Format, das seit einem Jahr regelmäßig stattfindet und immer mehr Zulauf erhält.
«Wir wollen Menschen erreichen, die mit klassischen Gottesdiensten wenig anfangen können», erklärt Weber-Schergens, während sie Kaffee ausschenkt. Etwa 30 Personen haben sich an diesem Sonntag eingefunden – darunter viele, die sonst selten in die Kirche gehen. Im Kirchenraum stehen Sofas und kleine Tische, Kerzen flackern, und eine Band spielt sanfte Popmusik statt Orgelklänge.
Was hier passiert, ist symptomatisch für den Wandel vieler Gemeinden. Laut aktueller EKD-Statistik verlassen jährlich über 300.000 Menschen die evangelische Kirche. «Wir müssen neue Wege finden», sagt Kirchengemeinderat Hans Tietjen. In Rahlstedt bedeutet das: Gespräche statt Predigten, gemeinsames Singen populärer Lieder und Raum für persönlichen Austausch.
Besonders die jüngeren Besucher schätzen die lockere Atmosphäre. «Hier kann ich sein, wie ich bin», sagt die 24-jährige Studentin Lisa Müller. Als ich vor einigen Jahren ähnliche Formate in Baden-Württemberg beobachtete, waren sie noch Experimente – heute werden sie vielerorts zur Normalität.
Die Hamburger Landeskirche unterstützt solche Initiativen inzwischen gezielt. Ob das den Mitgliederschwund stoppen kann, bleibt offen. Doch in Rahlstedt haben sie zumindest eines geschafft: Die Kirche ist wieder ein Ort, an dem Menschen sich begegnen. Und manchmal braucht es dafür nur ein paar Sofas und den Mut, Traditionen neu zu denken.