In kaum einer deutschen Stadt prägen linke Ideen das öffentliche Leben so stark wie in Berlin. Während die aktuelle Landesregierung unter CDU-Führung steht, bleibt der Geist der Stadt unverkennbar links. Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Fast 60 Prozent der Berliner identifizieren sich mit linken oder linksliberalen Positionen – deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt.
Woher kommt diese Prägung? Als ich vor Jahren aus Hamburg nach Berlin zog, fiel mir sofort die besondere politische Kultur auf. Die Stadt lockt seit jeher Menschen an, die Freiräume suchen und alternative Lebensentwürfe verwirklichen wollen. Nach dem Mauerfall entstanden in den leerstehenden Häusern der ehemaligen DDR unzählige Freiräume für Künstler, Querdenker und politische Aktivisten.
«Berlin war immer ein Schmelztiegel für Menschen, die anderswo nicht hineinpassten«, erklärt Stadtsoziologe Prof. Dr. Andreas Reckwitz. «Diese Offenheit hat eine politische Kultur geschaffen, in der linke Ideen besonders gut gedeihen.»
Besonders sichtbar wird dies in der Wohnungspolitik. Der erfolgreiche Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne vor zwei Jahren spiegelt das Misstrauen vieler Berliner gegenüber marktbasierten Lösungen wider. In kaum einer anderen Großstadt wäre ein solches Votum denkbar gewesen.
Aber die linke Prägung hat auch ihre Schattenseiten. Während meiner Recherchen in der Start-up-Szene höre ich immer wieder Klagen über bürokratische Hürden und politischen Widerstand gegen unternehmerische Initiativen. «In Berlin wird oft ideologisch statt pragmatisch entschieden», sagt Unternehmerin Sarah Müller, die seit zehn Jahren ein Tech-Unternehmen in Kreuzberg führt.
Was bedeutet das für die Zukunft der Stadt? Berlin steht vor gewaltigen Herausforderungen – von Wohnungsnot bis Klimaschutz. Die Frage wird sein, ob der linke Traum einer gerechteren Stadt mit der wirtschaftlichen Realität in Einklang gebracht werden kann. Vielleicht braucht es einen neuen Berliner Pragmatismus, der Idealismus und Realitätssinn verbindet.