Der Bundestag hat gestern eine umfassende Reform des Pflegegesetzes verabschiedet, die das deutsche Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen stellt. Während im Plenarsaal die Abstimmung lief, standen vor dem Reichstagsgebäude etwa 500 Pflegekräfte mit selbstgemalten Plakaten: «Mehr Aufgaben, gleiche Zeit – wie soll das gehen?» Die Frage hallt nach, während ich mit Schwester Maria (52) spreche, die seit 30 Jahren in einem Berliner Krankenhaus arbeitet. «Wir sind jetzt schon am Limit», sagt sie kopfschüttelnd.
Das neue Gesetzespaket überträgt Pflegefachkräften ab Juli erweiterte Kompetenzen. Sie dürfen künftig eigenständig bestimmte Medikamente verschreiben, Behandlungen anordnen und Hilfsmittel verordnen – Aufgaben, die bisher Ärzten vorbehalten waren. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach spricht von einer «längst überfälligen Aufwertung des Pflegeberufs». Der Deutsche Pflegerat begrüßt die Anerkennung, warnt jedoch: «Ohne zusätzliches Personal ist dies ein Nullsummenspiel auf Kosten der Patientenversorgung.»
Die Reform erinnert an ähnliche Modelle in Skandinavien, wo Pflegekräfte seit Jahren erweiterte Befugnisse haben – allerdings mit deutlich besserer Personalausstattung. Laut Statistischem Bundesamt fehlen in Deutschland aktuell über 40.000 Pflegekräfte. Prof. Dr. Christel Bienstein vom Institut für Pflegewissenschaft an der Uni Witten/Herdecke sieht darin das Hauptproblem: «Neue Aufgaben sind sinnvoll, aber wir bauen auf einem bröckelnden Fundament. Erst müssen wir die Arbeitsbedingungen verbessern, dann können wir über Kompetenzerweiterungen sprechen.»
Der Gesetzentwurf sieht zwar auch eine Entbürokratisierung vor, doch die praktische Umsetzung bleibt unklar. Während auf den Stationen die Dokumentationsflut kaum abebbt, werden die neuen Verantwortlichkeiten zusätzliche Fortbildungen erfordern. Die Krankenkassen haben bereits angekündigt, die Mehrkosten der Reform kritisch zu prüfen.
Was bleibt, ist die bange Frage: Kann ein überlastetes System mehr Aufgaben schultern? Die Antwort werden wohl jene geben müssen, die schon jetzt am Limit arbeiten – die Pflegekräfte selbst.