In einem Münchner Mehrfamilienhaus wurden Nachbarn vergangene Woche stutzig, als sie die 85-jährige Bewohnerin des dritten Stocks über Tage nicht mehr sahen. Die Polizei fand die betagte Frau am Mittwoch in ihrer verschlossenen Wohnung – stark dehydriert und in vernachlässigtem Zustand. Der verantwortliche Pfleger hatte sie offenbar tagelang allein gelassen und die Wohnung von außen verriegelt.
«Als wir die Wohnung öffneten, bot sich ein erschütterndes Bild», berichtet Hauptkommissarin Martina Weber vom Münchner Polizeipräsidium. Die Seniorin lag hilflos im Bett, hatte weder ausreichend Nahrung noch Getränke in Reichweite. Nach ersten Erkenntnissen hatte der 42-jährige private Pflegedienst-Mitarbeiter die Wohnung mindestens drei Tage zuvor verlassen und abgeschlossen.
Gegen den Mann wird nun wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung durch Unterlassen ermittelt. «Er hatte eine besondere Fürsorgepflicht», erklärt Staatsanwältin Claudia Hörmann. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Schattenseiten der häuslichen Pflege. Immer wieder erlebe ich bei meinen Recherchen in Bayern, dass private Pflegearrangements kaum kontrolliert werden.
Die Seniorin befindet sich jetzt in stabilem Zustand im Klinikum Schwabing. Ihr Neffe, der im Ausland lebt, wurde informiert. Die Nachbarn haben bereits angekündigt, ein Auge auf künftige Pflegekräfte zu haben. «Man traut sich gar nicht vorzustellen, was passiert wäre, wenn niemand misstrauisch geworden wäre», sagt eine Anwohnerin nachdenklich.
Dieser Fall ist wohl nur die Spitze des Eisbergs. Experten schätzen die Dunkelziffer bei Pflegemissbrauch hoch ein. Mehr Aufmerksamkeit im sozialen Umfeld könnte Leben retten. Brauchen wir strengere Kontrollen für häusliche Pflege oder sind wir als Gesellschaft einfach zu gleichgültig geworden?