Wenn Karol Nawrocki morgen in Berlin eintrifft, wird es der erste Deutschland-Besuch des neuen polnischen Präsidenten sein. Ein symbolischer Schritt, der viel über die künftigen deutsch-polnischen Beziehungen aussagen könnte. Der 41-jährige Historiker, der zuvor das Institut für Nationales Gedenken leitete, hat sich bislang eher kritisch gegenüber Deutschland positioniert. Seine Wahl im April markierte eine Fortsetzung des nationalkonservativen Kurses in Warschau – trotz des Regierungswechsels zur liberaleren Koalition unter Donald Tusk.
Der Besuch findet in einer Zeit statt, in der beide Länder ihre Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Ukraine verstärken wollen. Gleichzeitig stehen heikle Themen auf der Agenda: Reparationsforderungen für deutsche Kriegsverbrechen, die Nawrocki während seines Wahlkampfs betont hatte, und die Rolle der deutschen Energiepolitik. «Nawrocki wird versuchen, einen Balanceakt zu vollführen», erklärt Dr. Maria Skóra vom Deutschen Polen-Institut. «Einerseits muss er seine Wählerschaft bedienen, die Deutschland oft skeptisch sieht, andererseits ist ihm die strategische Bedeutung der Partnerschaft bewusst.»
Im Programm des Präsidenten steht neben dem Treffen mit Bundespräsident Steinmeier auch ein Besuch des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Ein bewusster Schritt, der die gemeinsame Erinnerungskultur betonen soll. Bemerkenswert ist auch sein geplanter Besuch bei polnischen Gemeinschaften in Berlin – ein Signal an die fast zwei Millionen Polen und Polnischstämmigen in Deutschland.
Die Erwartungen an konkrete Ergebnisse bleiben gedämpft. Vielmehr geht es um Tonalität und Symbolik. Während in Warschau die Regierung Tusk auf Annäherung setzt, wird Nawrocki als Präsident vermutlich kritischere Töne anschlagen. Ich habe in den vergangenen Jahren beobachtet, wie sensibel das Verhältnis zwischen beiden Ländern auf historische Bezüge reagiert – und wie schnell aus vermeintlich protokollarischen Besuchen handfeste diplomatische Verstimmungen werden können. Die Frage bleibt: Wird dieser Besuch den Weg für eine pragmatischere Zusammenarbeit ebnen oder alte Gräben vertiefen?