Der Regen fiel sanft über den Gendarmenmarkt, als gestern Abend gut 200 Demonstranten Anna Netrebkos Auftritt beim Classic Open Air in Berlin störten. Mit gelb-blauen Fahnen und Plakaten («Keine Bühne für Kriegsbefürworter») protestierten sie gegen die russische Starsopranistin, die 2022 wegen ihrer Nähe zu Wladimir Putin und ihrer zögerlichen Haltung zum Ukraine-Krieg international in die Kritik geraten war.
«Sie hat nie wirklich Abstand genommen von Putin und seinem Angriffskrieg», sagte Oleksandra Bienert vom Verein Vitsche Berlin, der den Protest organisierte. Auch der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev unterstützte die Demonstration vor Ort. «Es ist ein Skandal, dass Berlin einer Putin-Unterstützerin diese Bühne bietet», erklärte er sichtlich verärgert.
Die Veranstalter verteidigten ihre Entscheidung hingegen. «Frau Netrebko hat sich vom Krieg distanziert und Putins Vorgehen verurteilt», teilte Gerhard Kämpfe vom Classic Open Air mit. Tatsächlich hatte die Sängerin im März 2022 erklärt, sie sei «gegen diesen Krieg», ohne jedoch Russland oder Putin direkt zu kritisieren.
Als ich während der Proteste mit einigen Konzertbesuchern sprach, zeigte sich die Gesellschaft gespalten. «Kunst sollte unpolitisch bleiben dürfen», meinte eine Hamburgerin, während ein älterer Herr aus München konterte: «Nach zwei Jahren Krieg kann man nicht mehr so tun, als gäbe es keine Verantwortung für Künstler.»
Während drinnen Netrebko Arien von Puccini sang, hallten draußen «Schande»-Rufe über den historischen Platz. Die Polizei bestätigte später einen störungsfreien Ablauf beider Veranstaltungen. Die Debatte jedoch, ob große Bühnen Künstlern mit fragwürdigen politischen Positionen offenstehen sollten, wird in Berlin und darüber hinaus weitergehen. In einer Zeit, in der Kultur und Politik kaum zu trennen sind, stellt sich die Frage: Wo endet künstlerische Freiheit und wo beginnt politische Verantwortung?