Es war ein kalter Winterabend in Berlin, als ich die Charité-Notaufnahme besuchte. Das Bild, das sich mir bot, war ernüchternd: überfüllte Wartezimmer, erschöpftes Personal und Patienten, die stundenlang ausharren mussten. „Wir arbeiten seit Monaten am Limit«, sagte mir Dr. Monika Weber, leitende Notärztin. Die Situation ist kein Einzelfall – deutschlandweit verzeichnen Notaufnahmen 2025 einen historischen Höchststand.
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums stieg die Zahl der Notfallbehandlungen um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders alarmierend: Fast 40 Prozent der Fälle sind keine echten Notfälle. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Der demografische Wandel spielt eine zentrale Rolle – eine alternde Bevölkerung benötigt mehr medizinische Versorgung. Gleichzeitig hat sich die hausärztliche Versorgung in vielen Regionen verschlechtert. In manchen ländlichen Gebieten müssen Patienten bis zu drei Wochen auf einen Termin warten.
Prof. Dr. Klaus Hartmann vom Deutschen Krankenhausinstitut sieht auch gesellschaftliche Faktoren: „Wir beobachten eine zunehmende Ungeduld. Viele Menschen erwarten sofortige Hilfe, selbst bei Bagatellerkrankungen.» Dies erinnert an die Situation in Großbritannien vor der NHS-Reform 2019, als Notaufnahmen ebenfalls unter Bagatellfällen kollabierten.
Ein weiterer Faktor ist der Fachkräftemangel. „Wir haben 15 Prozent weniger Personal als nötig, aber 23 Prozent mehr Patienten», erklärt Schwester Jana Müller aus Dresden. Die Folgen sind dramatisch: längere Wartezeiten, kürzere Untersuchungen und häufigere Behandlungsfehler. Die Deutsche Gesellschaft für Notfallmedizin fordert nun ein dreistufiges Reformprogramm, das Portalpraxen, digitale Ersteinschätzungen und bessere Patientenaufklärung umfasst.
Was mich bei meinen Recherchen besonders berührt hat: Hinter den Zahlen stehen Menschen. Wie Herr Schulz, 78, der vier Stunden mit Schmerzen wartete, oder die alleinerziehende Mutter, die nachts keinen Kinderarzt findet. Die Krise unserer Notaufnahmen ist auch eine Krise unseres Gesundheitssystems. Die zentrale Frage bleibt: Wie lange können wir uns noch auf die Aufopferungsbereitschaft unseres medizinischen Personals verlassen, anstatt grundlegende Reformen anzugehen?