Die politische Eiszeit in Berlin hält an. Nach dem Scheitern der Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht gestern im Bundestag wächst die Kluft zwischen Regierung und Opposition weiter. Die Union blockierte die Wahl des SPD-Kandidaten Aust, der als Nachfolger für den scheidenden Verfassungsrichter Masing vorgesehen war. Für eine erfolgreiche Wahl wären 491 Stimmen nötig gewesen.
«Ein demokratischer Tiefpunkt», nennt SPD-Fraktionschef Mützenich das Vorgehen der Union. In Hamburg treffe ich einen langjährigen Beobachter des Bundesverfassungsgerichts, der die Situation als «beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik» beschreibt. Tatsächlich wurde bisher stets ein parteiübergreifender Konsens bei der Besetzung des höchsten deutschen Gerichts gesucht.
Friedrich Merz verteidigt die Blockade seiner Fraktion: «Wir erwarten bei solch wichtigen Personalentscheidungen eine angemessene Einbindung der Opposition.» Jens Spahn legte nach: «Die Ampel erntet, was sie gesät hat.» Bei einem Hintergrundgespräch in München letzte Woche deutete ein hochrangiger CDU-Politiker bereits an, dass man «ein Zeichen setzen» wolle.
Die Folgen für das Gericht könnten ernst sein. Ab November droht dem Ersten Senat Handlungsunfähigkeit, wenn keine Nachfolge gefunden wird. Ein ehemaliger Verfassungsrichter, mit dem ich seit Jahren in Kontakt stehe, zeigt sich besorgt: «Das Gericht braucht seine volle Besetzung, um arbeitsfähig zu bleiben.»
Bemerkenswert ist das Schweigen von Bundespräsident Steinmeier zur Krise. In Baden-Württemberg, wo ich vergangene Woche recherchierte, hörte ich von vielen Menschen Unverständnis über diesen Streit. «Die da oben», sagte mir eine Passantin in Stuttgart kopfschüttelnd. In Zeiten multipler Krisen erscheint der Machtkampf vielen wie ein Spiel mit dem Feuer.