In den grauen Morgenstunden über der Ostsee spielte sich gestern wieder einmal jenes gefährliche Katz-und-Maus-Spiel ab, das seit dem Ukraine-Krieg zum beunruhigenden Alltag geworden ist. Ein russisches Aufklärungsflugzeug näherte sich dem NATO-Luftraum, was umgehend zur Alarmierung von Eurofightern führte. Für die Anwohner der Küstenregionen sind diese Abfangmanöver längst keine Seltenheit mehr – seit 2022 haben sich solche Vorfälle um fast 40 Prozent erhöht.
Die Aufklärungsflüge russischer Maschinen folgen einem erkennbaren Muster, wie mir ein ranghoher NATO-Offizier erklärte: «Diese Operationen dienen nicht nur der militärischen Informationsgewinnung, sondern sind Teil einer breiteren Strategie der Einschüchterung.» Tatsächlich fallen diese Flüge oft mit kritischen Momenten der westlichen Ukraine-Unterstützung zusammen. Als die deutsche Bundesregierung im Februar neue Militärhilfen ankündigte, verdoppelten sich die russischen Aufklärungsflüge im Ostseeraum binnen einer Woche.
Die technische Dimension dieser Begegnungen ist bemerkenswert. Die eingesetzten russischen Aufklärungsflugzeuge – meist vom Typ Tu-154M oder Il-20 – verfügen über hochmoderne Abhörsysteme, die theoretisch Kommunikation in einem Umkreis von 300 Kilometern erfassen können. Die NATO-Eurofighter halten bewusst einen sicheren Abstand, begleiten die russischen Maschinen jedoch mit aktivierten Transpondern, um Missverständnisse zu vermeiden. «Seit dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 über der Ukraine hat die Luftraumüberwachung eine ganz neue Brisanz bekommen», erläutert Dr. Margarete Klein vom Institut für Sicherheitspolitik.
Für die Fischer und Küstengemeinden an der Ostsee sind die militärischen Spannungen eine zusätzliche Belastung neben wirtschaftlichen Sorgen. «Wir hören die Jets fast täglich», erzählte mir ein Fischer aus Sassnitz. «Mein Großvater hat noch den Kalten Krieg erlebt – niemand hier will, dass diese Zeiten zurückkehren.»
Die Frage bleibt: Sind diese russischen Provokationen tatsächlich nur Machtdemonstrationen oder Teil einer umfassenderen Strategie zur Datensammlung über westliche Verteidigungssysteme? Die Antwort liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen – und genau das macht die Lage an Europas Ostgrenze so beunruhigend unberechenbar.