In den überfüllten Wartezimmern der Suchtkliniken Berlins spiegelt sich eine Realität wider, die in unseren politischen Debatten oft zu kurz kommt. Der HIV-Experte und Virologe Hendrik Streeck mahnt: «Die Diskussion über Drogen und Abhängigkeit ist kein Randthema, sondern betrifft den Kern unserer Gesellschaft.» Als ich vor einigen Jahren die Entzugsstationen in Frankfurt besuchte, wurde mir klar, wie sehr das Thema zwischen medizinischer Versorgung und sicherheitspolitischen Erwägungen zerrieben wird.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mehr als 2.000 Drogentote verzeichnete Deutschland im vergangenen Jahr – der höchste Stand seit 20 Jahren. «Wir brauchen einen grundlegenden Paradigmenwechsel», erklärt Dr. Sabine Weber vom Zentrum für Suchtmedizin in München. «Die medizinische Versorgung muss Vorrang vor Strafverfolgung haben.» Dabei geht es nicht nur um die Legalisierung von Cannabis, die nur ein Teilaspekt einer umfassenden Strategie sein kann. Vielmehr fehlt es an flächendeckenden Hilfsangeboten und niedrigschwelligen Anlaufstellen. In Portugal hat die Entkriminalisierung des Drogenkonsums bereits 2001 zu einem Rückgang der Drogentoten und HIV-Infektionen geführt – ein Modell, das auch für Deutschland lehrreich sein könnte.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung hat zwar mehr Prävention angekündigt, doch Experten wie Streeck fordern konkretere Maßnahmen: «Wir müssen aufhören, Abhängigkeit zu stigmatisieren und stattdessen evidenzbasierte Konzepte umsetzen.» Dabei spielen Drug-Checking-Programme, wie sie in der Schweiz erfolgreich praktiziert werden, eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen Konsumenten, ihre Substanzen auf gefährliche Streckmittel überprüfen zu lassen.
Die Herausforderung liegt nun darin, die medizinischen Erkenntnisse mit politischem Willen zu verbinden. Wie bei der AIDS-Krise in den 80er Jahren braucht es mutige Entscheidungen jenseits ideologischer Grabenkämpfe. Denn eines ist klar: Hinter jedem statistischen Wert steht ein Mensch mit einer Geschichte – und die Chance auf ein gesünderes Leben.