In den Wartezimmern deutscher Gesundheitsämter wird es eng. Nach aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts erreichen die Syphilis-Infektionen in Deutschland einen historischen Höchststand. Besonders erschreckend: In urbanen Zentren wie Berlin, Hamburg und Köln haben sich die Fallzahlen binnen drei Jahren nahezu verdoppelt. «Wir beobachten einen alarmierenden Trend, der alle Altersgruppen betrifft», erklärt Dr. Marianne Weber, Leiterin der STI-Prävention am RKI.
Die Rückkehr dieser historischen Geschlechtskrankheit erinnert an Muster, die wir bereits aus den frühen 2000er Jahren kennen. Damals wie heute fehlt es an Bewusstsein und niedrigschwelligen Testangeboten. Ich habe mit Betroffenen in Berliner Kliniken gesprochen, die oft erst in fortgeschrittenen Stadien Hilfe suchen. «Viele Patienten verwechseln die Symptome mit harmloseren Erkrankungen oder ignorieren sie komplett», berichtet Dr. Klaus Hoffman von der Charité. Die Dunkelziffer dürfte erheblich sein.
Besonders beunruhigend ist die Entwicklung vor dem Hintergrund knapper Gesundheitsbudgets. Während das Bundesgesundheitsministerium auf verstärkte Präventionskampagnen setzt, mahnen Experten wie die Mikrobiologin Prof. Sabine Krämer zur Besonnenheit: «Wir sollten die Zahlen ernst nehmen, aber keine Panik schüren. Syphilis ist bei frühzeitiger Diagnose gut behandelbar.» Anders als bei der historischen Ausbreitung im 19. Jahrhundert verfügen wir heute über wirksame Antibiotika.
Die Daten zeigen auch einen deutlichen Stadt-Land-Gefälle: Während in Metropolen auf 100.000 Einwohner bis zu 41 Fälle kommen, sind es in ländlichen Regionen durchschnittlich nur 4,7. Dies wirft Fragen auf: Fehlt es auf dem Land an Testmöglichkeiten oder sind urbane Lebensstile tatsächlich risikoreicher?
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass selbst «alte» Krankheiten in unserer hochentwickelten Gesellschaft Comeback feiern können. Gesundheitsexperten fordern nun ein Umdenken – weg von der Stigmatisierung, hin zu offener Kommunikation und leicht zugänglichen Tests. Denn nur was sichtbar ist, kann auch behandelt werden.