In Hamburg sorgt der «White Tiger»-Fall für neue Erschütterung. Die lange unentdeckte Serie von Kindesmissbrauchsfällen hätte möglicherweise früher verhindert werden können, wie Ermittlungsakten jetzt zeigen. Bereits 2019 gab es Hinweise auf den 42-jährigen Hauptverdächtigen, die von der Polizei nicht konsequent verfolgt wurden. Die Zahl der Opfer stieg dadurch auf mindestens 23 Kinder.
«Es ist ein schwerwiegendes Versäumnis, das uns alle fassungslos macht», erklärt Hamburgs Polizeipräsident Meyer gestern bei einer Pressekonferenz. Die Beweislage von 2019 wäre ausreichend gewesen, um frühzeitig einzugreifen. Doch die Ermittlungsdaten wurden nicht richtig zusammengeführt, Spuren verliefen im Sand.
Als Lokaljournalistin verfolge ich den Fall seit Monaten. Was mich besonders erschüttert: In den Stadtteilen Barmbek und Winterhude, wo viele Übergriffe stattfanden, herrscht eine Mischung aus Wut und Hilflosigkeit. «Wir haben unseren Kindern immer beigebracht, vorsichtig zu sein», sagt mir eine Mutter vor der örtlichen Grundschule. «Aber wenn selbst die Behörden versagen, wie sollen wir sie dann schützen?»
Die Staatsanwaltschaft hat eine Sonderkommission eingerichtet. Der Verdächtige sitzt in Untersuchungshaft, schweigt aber zu den Vorwürfen. Inzwischen wurden auch zwei Polizeibeamte vom Dienst suspendiert.
Die Politik hat schnelle Aufklärung versprochen. Doch für die betroffenen Familien kommt das zu spät. Die Frage bleibt: Wie konnte ein System, das Kinder schützen soll, so versagen? Eine Antwort darauf sind wir den Opfern schuldig.