Die Diskussionen unter den Nachbarn am Brunnen im Wiesbadener Kurpark sind heute angespannter als sonst. Seit gestern gilt in mehreren Stadtteilen ein Abkochgebot für Leitungswasser, nachdem bei Routineproben coliforme Keime nachgewiesen wurden. Rund 80.000 Menschen sind betroffen, vor allem in Bierstadt, Erbenheim und Teilen der Innenstadt.
«Die Verunsicherung ist verständlich, aber kein Grund zur Panik», erklärt Dr. Marion Welsch vom Gesundheitsamt Wiesbaden. «Wir sprechen von einer Vorsichtsmaßnahme.» Die Wasserwerke haben bereits mit der Chlorung des Trinkwassers begonnen, bis die Ursache gefunden ist. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Kleinkinder und Personen mit geschwächtem Immunsystem.
Auf dem Wochenmarkt am Mauritiusplatz macht sich der Vorfall bemerkbar. «Heute haben wir dreimal so viel Mineralwasser verkauft wie sonst», erzählt Getränkehändler Klaus Fernbach. «Viele ältere Kunden sind verunsichert, ob sie ihr Wasser richtig abkochen.»
Wie man richtig vorgeht? Das Wasser muss sprudelnd kochen – mindestens drei Minuten lang. Das gilt für Trinkwasser genauso wie für Wasser zum Zähneputzen, Waschen von Obst oder zum Kochen. Eine Entwarnung ist frühestens in drei Tagen zu erwarten, wenn die nächsten Proben ausgewertet sind.
Dass ausgerechnet Wiesbaden mit seinen berühmten Heilquellen Probleme mit dem Trinkwasser hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. In meinen fast zwanzig Jahren als Reporterin habe ich immer wieder erlebt, wie schnell solche Vorfälle Verunsicherung auslösen können. Oft sind es die kleinen Alltagsselbstverständlichkeiten, deren Wert wir erst erkennen, wenn sie plötzlich infrage stehen.
Die Stadtverwaltung hat eine Hotline eingerichtet, die heute bereits über 600 Anrufe entgegennahm. Für ältere und mobilitätseingeschränkte Personen organisieren Freiwillige Wassertransporte. Mehr Informationen gibt es auf der Webseite der Stadt Wiesbaden.
Wie lange wird der Ausnahmezustand dauern? Das kann derzeit niemand mit Sicherheit sagen. Für uns alle ein Weckruf, wie abhängig wir von einer funktionierenden Infrastruktur sind – und wie schnell das selbstverständlichste Gut zum kostbaren Luxus werden kann.